Der gute Junge aus St. Denis

Poetry Slammer Bas Böttcher und Grand Corps Malade riefen die deutsch-französische Freundschaft aus

Ein Poetry Slam beginnt mit den Spielregeln. Der Moderator Martin Jankowski verkündete vorab, dass es kein »Battle« werden sollte, also kein Wettbewerb, in dem es darum geht, dem Gegenüber und dem Publikum mit Originalität und Sprachwitz Respekt abzuringen. Jankowski, selbst Literat, rief dazu auf, einander die Hand zu reichen. Den Segen dafür hatten die beiden Akteure vom französischen Botschafter Bernard de Montferrand und von Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD).

Bas Böttcher hatte Heimvorteil. Eigentlich. Doch als er sich im Publikum umsah, war ihm klar, dass die große Mehrheit im ausverkauften Studio des Admiralspalasts nicht wegen ihm gekommen war. Ganze Schulklassen waren da und französische Erasmus-Studenten sowieso. Grand Corps Malade, kurz GCM, ist in Frankreich ein Popstar, der mit seinem Rap die Charts stürmt.

Was blieb Bas Böttcher also anderes übrig, als damit zu kokettieren, dass er im Vorprogramm des großen GCM auftritt? Gleichwohl das ein Unterstatement war, denn auch ihm folgten die Zuschauer Wort für Wort. Er ist ein Virtuose, und seine A-cappella-Reime folgen Melodien, die der deutschen Sprache beinahe exotischen Reiz verleihen. Es gelingt ihm sogar, die Auslautverhärtung in einen Wohlklang zu betten. Bas Böttcher ist Mitte dreißig, wirkt aber jugendlich, verspielt und witzig. Dennoch besitzt er eine Ernsthaftigkeit, die ihn davor bewahrt, zu kalauern. Wie ein Ethnologe bildet er mit Worten und Reimen seine Lebenswelt ab.

Grand Corps Malade kommt aus St. Denis, der Pariser Banlieue. Das ist ein trister Ort. Aber wenn der Mann mit seiner ruhigen, tiefen Stimme Lieder über seine Stadt singt, dann wirkt selbst das demütigende »Abziehen«, also der Straßenraub, poetisch. In dem Stück »Midi 20« besingt er, von einer Band begleitet, sein eigenes Schicksal und betrachtet das Leben als einen Tag. Als er 19 war, verletzte er sich bei einem Sprung in den Swimming Pool so schwer, dass die Ärzte ihn schon im Rollstuhl sahen. Doch er rappelte sich auf. Jetzt ist er 32, steht mit der Krücke auf der Bühne, und in der Zeit eines Tages gemessen, ist es 20 nach zwölf. Grand Corps Malade heißt übersetzt großer kranker Körper. Natürlich sehne er sich manchmal nach dem Morgen zurück, der Zeit vor seinem Unfall, doch er freue sich auch auf den Nachmittag. Nach dem Lied verbeugt er sich leicht, so weit es sein gelähmter Rücken zulässt. Er ist dankbar für den frenetischen Applaus, das ist ihm anzusehen – und das ist rührend. In Frankreich gilt er als Sympathieträger und ist für viele eine hoffnungsvolle Stimme aus den Vororten. Aber er hat auch Kritiker, nämlich jene, wie Hamé, Sohn eines algerischen Landarbeiters und Mitglied der Rap-Gruppe »La Rumeur«. Der meint, seine »Ja-ja-Predigten« seien für das reine Gewissen der Eliten nützlich, würden aber nicht helfen, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Eine Chancengleichheit für Migranten sei noch immer ein Wunsch in weiter Ferne.

Das Publikum im Admiralspalast dachte an diesem Abend nicht an die Missstände. Es war dankbar für den Optimismus, den Grand Corps Malade ihnen mit auf den Weg gab.

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