Nächster Anlauf zum linken Dialog
Die gegenwärtigen Diskussionsversuche haben ganz ähnliche Vorläufer in den 90er Jahren
Staatsverschuldung, Krise der Sozialsysteme, Zerschlagung des solidarischen Gesundheitssystems, Allmacht der Banken, wachsende Finanzspekulationen – die Stichworte klingen, als seien sie in diesen Tagen notiert worden. Dabei sind sie 13 Jahre alt. Anfang 1997 hatten rund 40 Personen aus Kultur, Wissenschaft und Gewerkschaften die Erfurter Erklärung veröffentlicht, in der sie für eine Politik der sozialen Demokratie plädierten und die drei damaligen Oppositionsparteien – SPD, Grüne, PDS – zur Verständigung über eine konkrete Machtoption jenseits von Helmut Kohls CDU/CSU/FDP-Regierung aufforderten.
Die Erfurter Erklärung stieß damals in eine politische Marktlücke, sie artikulierte einen verbreiteten Wunsch nach politischer Veränderung. Die Diskussionen darüber, angeschoben von prominenten Namen, trugen ganz gewiss dazu bei, dass SPD und Grüne 1998 die Regierung übernehmen konnten und die PDS stärker als je zuvor in den Bundestag einzog. Ein breites linkes Spektrum hatte die Parteien zum Dialog aufgefordert; längst nicht überall in den Nomenklaturen der Parteien war das Echo positiv, und mancher Parteisoldat verwechselte die gemeinsame Suche nach Alternativen mit taktischem Geplänkel. Aber die politische Atmosphäre im Lande wurde dadurch beeinflusst.
Schon Mitte der 90er Jahre hatten sich Leute aus den drei eher linken Parteien, die in den Medien gern als Vordenker bezeichnet werden, um Debatten über linke Perspektiven bemüht. Die Initiative zu diesem als Crossover bekannt gewordenen Diskussionsprozess ging seinerzeit von den Redaktionen dreier Zeitschriften aus: der »Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft« (SPD-Linke), »Utopie kreativ« (Rosa-Luxemburg-Stiftung der PDS) und »Andere Zeiten« (Grüne Linke). Einige zentrale Stichworte aus dem Crossover-Diskurs: Globalisierung, neue Arbeitsgesellschaft, Zukunft des Sozialstaats, Krieg und Linke, Nachhaltigkeit und Ökologie, Politik jenseits von Parteien.
Auch hier lässt sich feststellen: Vieles davon steht noch immer auf der Tagesordnung. Manches sogar noch dringender als damals. Allerdings wurde damals in Opposition zur schwarz-gelben Regierung unter Kohl diskutiert. Inzwischen hat die SPD elf Jahre regiert bzw. mitregiert, die Grünen saßen sieben Jahre mit am Kabinettstisch. Die Bilanz stellt ihnen kein gutes Zeugnis aus.
Die parteiübergreifende Auseinandersetzung über linke Alternativen war damals keine risikofreie Angelegenheit. Vor allem Sozialdemokraten, die sich hier engagierten, liefen Gefahr, von ihrer Parteiführung gemaßregelt zu werden. Es war die Zeit, als der damalige SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering Parteiausschlussverfahren für jene Mitglieder androhte, die sich für ein offeneres Verhältnis zur PDS einsetzten. Diese Abwehrhaltung gegenüber jeglichem linken Dialog ist der SPD-Elite aus der Schröder-Zeit tief eingeimpft. Gerhard Schröder selbst benutzte die PDS höchstens für taktische Scharmützel, beispielsweise im Bundesrat. Frank-Walter Steinmeier ist bis heute kein Freund parteiübergreifender linker Debatten. Und der langjährige SPD-Fraktionschef Peter Struck bezeichnete vor einigen Jahren die Gründung eines Zirkels junger linker Abgeordneter aus seiner Partei, die auch mit PDSlern/Linken redeten, als Kinderkram.
Was auffällt: Anders als bei den früheren Versuchen kommen die Initiatoren jetzt mitten aus den etablierten Parteistrukturen. Dabei ist es der Sache gewiss dienlich, wenn Leute wie der Umweltaktivist Herrmann Scheer, der vormalige Attac-Frontmann Sven Giegold und die Grundeinkommens-Vorkämpferin Katja Kipping stark in gesellschaftlichen Bewegungen verankert sind. Aber vor allem sind diejenigen, die nun zu linker Verständigung über Parteigrenzen hinweg aufrufen und ermuntern, in ihren Parteien gestandene Politiker, auch wenn manche von ihnen noch ziemlich jung sind. Daran lässt sich ermessen, wie sehr sich die politischen Zustände in den letzten Jahren geändert haben: Die LINKE wird zunehmend als gleichberechtigter Gesprächspartner akzeptiert, anders als seinerzeit die PDS.
Dass Oskar Lafontaine mit seinem Rückzug in den Augen manches Beteiligten ein Hindernis weggeräumt hat, ist wohl zeitlicher Zufall. Vor allem wird jetzt eine neue Politikergeneration stärker aktiv, die nicht die alten Vorurteile mit sich herumschleppt. »Es geht uns nicht mehr darum, in alten Grabenkämpfen zu verharren und sich die Geschichten von vor 20 Jahren vorzuhalten«, sagt etwa der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler. Eine Frau aus dem Initiatorenkreis der sogenannten Oslo-Gruppe der jungen Abgeordneten von Rot-Rot-Grün meint drastisch: »Die Kämpfe der Alten interessieren uns nicht.«
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