Gewichte verschieben sich nach Osten

In Davos endete das Weltwirtschaftsforum – mit vielen Worten über einen Kapitalismus der Zukunft

  • Urs Fritze, Davos
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Welt hätte beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum verbessert werden sollen. Es wurde viel geredet über den Kapitalismus der Zukunft. Doch neue Rezepte waren nicht auszumachen. Umso eindrücklicher der selbstbewusste Auftritt der neuen wirtschaftlichen Supermacht: China.

Es kommt nicht von ungefähr, dass der chinesische Staatssender CCTV am diesjährigen Weltwirtschaftsforum erstmals eine eigene Fernsehdebatte aufzeichnete. Dieses Privileg genossen bislang nur angelsächsische Fernsehsender. Die Kritik des Moderators Rui Cheggang war nicht unberechtigt: Viel zu lange habe eine vor allem auf die USA und Europa zentrierte Berichterstattung am WEF dominiert. Es sei höchste Zeit, auch anderen mehr Platz und Stimme zu geben.

Dass diesen prominenten Platz nun ein Sender einnimmt, der nicht einen Hauch Unabhängigkeit genießt, ist ebenso bezeichnend. In der »Debatte« waren denn auch dieselben Argumente zu hören, wie sie seitens der offiziellen chinesischen Vertretung geäußert worden waren. Doch so bedenklich diese Form der Berichterstattung ist, sie macht die Verschiebung der Gewichte deutlich, wie sie am Weltwirtschaftsforum von Jahr zu Jahr zu beobachten sind. Dieses Jahr war alles noch ausgeprägter, denn China ist schlicht zum größten Motor der Weltwirtschaft geworden und hat die extremen Verwerfungen der Weltwirtschaft so gut überstanden wie kein anderes Land.

Und so wenig sich China in seine inneren Angelegenheiten reinreden lässt, so berechenbar ist das Land in seiner Außenpolitik. Keine aggressiven Töne sind zu hören, im Gegenteil: Betont wird der Wille zur friedlichen Zusammenarbeit, zur gemeinsamen Lösung der immensen Probleme, die sich nach wie vor auftürmen. Aus dem schüchternen Straßenfußballer, als der sich China noch vor einem Jahrzehnt präsentierte, ist ein muskulöser Stürmer geworden, während sich Europa und die USA sich derzeit wie abgehalfterte Altstars mit schlaffen Muskeln präsentieren. Dazu passt auch, dass Spitzenpolitiker aus der EU und den USA in diesem Jahr kaum zu sehen waren. Doch nicht nur China präsentierte sich mit großem Selbstbewusstsein. Auch Indien, Brasilien und Südafrika zählten dazu.

Die Verschiebung der weltpolitischen Gewichte war beim WEF kein offizielles Thema, doch vielleicht gerade deshalb so sichtbar wie noch nie. Das eigentliche Motto, das Nachdenken darüber, wie der Zustand der Welt verbessert werden könnte, rückte, auch wenn ständig darüber geredet wurde, in den Hintergrund. Denn die Ratlosigkeit, die 2009 dominiert hatte, scheint noch lange nicht überwunden, aus Ratlosen sind allenfalls Suchende geworden – gerade in der Gilde der Wirtschaftsführer. Die Suche nach neuen Regeln lässt sich aber auch aus den kämpferischen Politiker-Reden ablesen, wie sie am WEF zu hören waren – allen voran der französische Staatspräsident, der einen »moralischen« Kapitalismus einforderte, aber auch die Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard, die monierte, dass viel geredet, aber kaum gehandelt werde. Die Aufgaben, die es zu lösen gilt, sind tatsächlich immens.

Die Staaten haben – unter großem Applaus der Wirtschaft – mit ihren Konjunkturprogrammen gigantische Schuldenberge anhäufen müssen, und auch wenn diese deutlich sichtbare Spuren in den volkswirtschaftlichen Bilanzen hinterlassen, so weiß heute noch niemand, ob die Programme nachhaltig genug sind, um die erlahmte Wirtschaft wieder anzukurbeln. In Friedenszeiten gab es noch nie Stimulierungsprogramme dieses Ausmaßes. Weitgehend einig war man sich am WEF, dass die Staaten vor allem im Westen gut daran tun, die Hilfen noch einige Zeit beizubehalten. Ein verfrühter Ausstieg könnte das, wenn überhaupt, sehr zart sprießende Konjunkturpflänzchen gleich wieder abwürgen.

Nur sehr schleppend sind die Fortschritte in Richtung einer global harmonisierten Neuregelung der Finanzmärkte – auch wenn niemand ernsthaft deren Notwendigkeit bestreitet. Doch der Hydra der Deregulierung, die jahrelang auch am WEF gepredigt worden war, wachsen immer neue Köpfe nach. Der Machtkampf wird zwischen Regierungen und Banken, zwischen Parlamentariern und Lobbyisten ausgetragen, auch zwischen den Mitgliedern der derzeit die internationale politische Agenda dominierenden G20, und, so ist zu befürchten, zunehmend auch zwischen Staaten, deren Regierungen, trotz aller Rhetorik von einer globalen Harmonisierung der Regulierung der aus dem Ruder gelaufenen Finanzmärkte, auch die eigenen Interessen berücksichtigen müssen. Das ist Business as usual. Die Welt erfindet sich nicht neu – auch nicht am WEF.

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