Brotfabrik
Fataler Knopf
Geschrieben hat Stanislaw Stratiew das Stück 1982, in der Zeit eines gefestigt scheinenden Sozialismus. Beides merkt man der Vorlage des 2000 erst 59-jährig verstorbenen bulgarischen Autors an. Insofern ehrt ihn die Inszenierung in der Brotfabrik zum zehnten Todestag. Satirische Komödie nennt er »Unser ach so kurzes Leben«, ein Kammerspiel, das 1990 beim Theaterfestival im französischen Maubeuge den ersten Preis gewann und seit 1992 auch in deutscher Übersetzung vorliegt.
Der eigentlichen Story schaltet Regisseur Francois Baldassare einen Film vor, der in die Geschichte einführt. Und die geht um Architekt Stiljanow. Zu Arvo Pärts vielgenutztem Klavier-Cello-Duo »Im Spiegel« ist er im Auto auf einer Landstraße hin zu Neubauten unterwegs, die er einst errichten ließ. Geläutert will er nun solch tristen Platten nicht mehr zustimmen, doch bei der Gymnastik auf freiem Feld springt ihm unbemerkt ein Hosenknopf ab, ohne den sein Beinkleid just nicht mehr am Körper hält. Der Film pendelt zwischen ihm und einem Paar, das beim Spazieren über Stiljanow räsoniert: Er lebte falsch, sagen sie, gehöre zwar der Elite an und müsse dennoch etwas ändern. Das möchte auch der Architekt, unterwegs zu einer neuerlichen Plattenwüste, der er die Abnahme verweigern will, wäre da nur nicht der fatal verlorene Knopf.
Eine beschädigte Hose als Katalysator
So begibt er sich in einen der Blöcke auf der Suche nach Nadel und Faden oder wenigstens einer Sicherheitsnadel. Und erhält dort die Quittung, diese Bauweise zu verantworten, denn alle Bewohner sind irgendwie irre. Eine Mieterin hält ihn für einen Sexualverbrecher, ein Mann öffnet erst gar nicht, weil er sich vom Rauswurf bedroht fühlt. Eine Frau beschimpft ihn, weil ihre Familie am Tapetenmuster krank geworden ist, eine dritte lockt ihn in die Wohnung, damit ihr Mann ihn gehörig verprügeln und dann auf den Gang werfen kann. Ein liturgischer Chorus gibt all dem die rechte Weihe. So schließt der 30-Minuten-Film. Für das knapp einstündige Live-Spiel braucht es nur einen Mittelgang, der auf einen Schreibtisch hin führt und den zu beiden Enden Spiegel begrenzen.
Den Übergang von der Konserve zur Bühne besorgt Fabian Cohn in einer zu langen, aber gut präsentierten Pantomime: Wie eine Figur aus »Metropolis« vollführt er zu Maschinengeratter die immer selben Bewegungsfolgen, bis er selbst zum Maschinenmann wird – die rechte Vorbereitung für willfähriges Bürokratentum.
Denn zu ihm, Mitarbeiter in einer Spezialdienstleistung, rettet sich René Dörings Stiljanow in der Hoffnung auf Hilfe. Doch alle, von der Information bis zum Leiter, sind wegen Einsparung dieselbe Person, und alle berufen sich auf die Regeln: Nähen nur mit Kundematerial. Vergebens irrt der Architekt von Pontius zu Pilatus, will im Geheimen, in inneren Monologen, dem Typen seine Meinung geigen, hat indes nach außen nicht den Mut, so wie er auch wider Willen den Wohnblöcken zugestimmt hatte. Die Situation um einen lächerlichen Hosenknopf spitzt sich kafkaesk zu, wird selbst lächerlich, weil sie eben nicht die latente Bedrohlichkeit etwa von Kafkas »Prozess« hat. Am Ende erwirkt Stiljanow eine Ausnahmegenehmigung, Fremdmaterial nutzen zu dürfen, ist jedoch derart aufgerieben, dass er in Mantel und Part des Bürokraten schlüpft.
Wie engagiert sich die beiden Akteure ihre Rollen erobern, wie geschickt die Regie den Text in reale und fiktive Szenen zerlegt: Die Haltedauer eines Knopfs hat die Groteske wohl doch nicht überlebt.
Wieder 18.-20.2., Brotfabrik
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