Mädchen unerwünscht

Am Sonntag beginnt das Jahr des Tigers für Chinesen und Vietnamesen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn in diesen Tagen viele Wochenmarktstände und Asia-Imbisse verwaist bleiben, dann liegt das nicht nur an Kälte, Schnee und Eis. Viele vietnamesische und chinesische Standinhaber gönnen sich ein paar freie Tage. Sie feiern das Neujahrsfest. Am Sonntag löst für 13 000 Vietnamesen und 6000 Chinesen in der Stadt das Jahr des Tigers das Büffel-Jahr ab.

Zählt man den Silvestertag am Samstag dazu, dann startet in fernöstlichen Familien eine viertägige Feierzeit, die so wichtig ist, als würden für uns Weihnachten, Silvester und die Geburtstage aller Familienmitglieder zusammenfallen. Man nimmt eine Auszeit vom Alltag und verbringt diese Tage vor allem im Kreis der Familie. Auf keinem Tisch darf der aufwendig bereitete Klebreiskuchen fehlen. Der schmeckt nicht etwa süß, sondern ist mit Fleisch, Bohnen und Ei gefüllt.

Obwohl das Tetfest einen naturreligiösen Ursprung hat, nehmen sich viele Vietnamesen auch Zeit, eine buddhistische Pagode oder eine katholische Kirche zu besuchen und dort zur Ruhe zu kommen. Letztes Wochenende war in vielen Familien bereits ein gründlicher Frühjahrsputz angesagt. Der Grund: Eine Woche vor Silvester reiste der Küchengeist in den Himmel und berichtet dort den Ahnen von ihren Nachkommen. Er soll natürlich nur das allerbeste erzählen.

Auf dem Ahnenaltar, den fast jede vietnamesische Familie im obersten Fach einer Schrankwand oder auf einem Regal platziert hat, werden zum Fest den Ahnen Früchte, Räucherstäbchen und ein Huhn mit Kopf und Krallen geopfert. Beim Feiern sollen die Vorfahren in der Familie zu Gast sein. Es ist Zeit, den Kindern von ihren Urgroßeltern zu erzählen. Familiensinn und Ahnenkult wird in der fernöstlichen Kultur groß geschrieben. Ein Tigerjahr gilt als unruhig und turbulent, sehr willkommen für Menschen mit Abenteuerlust. Die ziemt sich in den Augen von traditionell gesinnten Chinesen und Vietnamesen allerdings nur für Männer. Mädchen und Frauen sollen in konfuzianistisch geprägten Kulturen eher ausgeglichen und duldsam sein als hitzköpfig und stur.

Deshalb soll auf keinen Fall in einem Tigerjahr eine Tochter geboren werden. Noch heute gelten Tiger-Mädchen als schwer zu verheiraten. In Fernost werden in den kommenden zwölf Monaten vermutlich noch mehr weibliche Föten abgetrieben als ohnehin. Auch in Deutschland werden einige Familien aus China oder Vietnam ihren Kinderwunsch verschieben. Die »Gefahr», dass es ein Mädchen werden könnte, ist doch real.

Das Tetfest oder auch Frühlingsfest, wie es die Chinesen nennen, wird auch in Berlin immer mehr kommerzialisiert. Die Deutsche Bahn AG lädt am Wochenende bis jeweils ab 14 Uhr gemeinsam mit der chinesischen Botschaft zu kommerziellen Feiern auf dem Hauptbahnhof ein. Mit Musik und Artistik aus dem Reich der Mitte sowie einem riesigen Feuerwerk am Samstag will die Pekinger Regierung chinesische Kultur präsentieren. Vor allem wird aber ein Markt mit allerlei Waren aus China um Berliner Kunden werben.

Tetfest-Feiern, zu denen vietnamesische Vereine öffentlich einladen, so dass auch interessierte Deutsche vietnamesische Kultur erleben können, werden immer seltener. Die meisten Vereine feiern im geschlossenen Rahmen. Das liegt daran, dass die Zahl der Vietnamesen in Berlin sich in den letzten 12 Jahren verdoppelt hat. Es gibt immer mehr »Stammpublikum«, die Räume werden nicht größer und die Sponsorensuche ist schwierig.

Eine Ausnahme ist das Fest des Bezirksamtes Treptow-Köpenick und des Vereins Dialog am 21. Februar ab 14.30 Uhr in der Plönzeile 7 in Oberschöneweide. Hier ist jedermann zu Musik, Tänzen und kulinarischen Köstlichkeiten aus Vietnam eingeladen. Und ganz unkommerziell geht es auch auf den Feiern zu, die die Katholische Kirche für vietnamesische Strafgefangene in den JVAs organisiert: Sie sollen einfach etwas Freude in den tristen Gefängnisalltag bringen.

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