»Stress« im Grips Theater

Schülerauftrag zum Wettbewerb und Neoliberalismus im Klassenzimmer

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.
»Stress« im Grips Theater

In den letzten 20 Jahren hat der Leistungsdruck in den Lehranstalten im gleichen Maße zugenommen, wie die Chancen auf gute Ausbildungs- und Arbeitsplätze geschrumpft sind. Nun hat sich das Grips-Theater des Themas angenommen. Das am Donnerstag uraufgeführte Stück »Stress – der Rest ist Leben« ist ein Versuch, die Auswirkungen von Leistungsdruck und Versagensängsten auf junge Menschen zu schildern.

Mit dem Text hat das Grips den gefeierten Nachwuchsdramatiker Dirk Laucke beauftragt. Der recherchierte im Vorfeld an zwei Realschulen, einer in Zehlendorf und einer in Kaulsdorf-Nord. Während im gutbürgerlichen Zehlendorf im Rahmen eines Pilotprojekts mit Laptops gelernt wird und der dumm da steht, dessen Eltern die teure Lernhilfe in Raten abstottern müssen, geht in Kaulsdorf das Schreckgespenst Hauptschule und die Angst vor Hartz IV um. »Hartzen« als Berufsziel – von wegen!

In seinen »Stress«-Text hat Laucke dann alles hineingestopft. Vor dem Hintergrund eines Business-Wettbewerbs prallen acht Schüler mit ihren Sorgen und Nöten aufeinander. Bei dem »Teamworx Contest« sollen Gruppen eine Geschäftsidee entwickeln und ausarbeiten. Die hoch motivierte Celi sieht sich schon als Managerin und drängt ihre Zwillingsschwester Feli sowie zwei eher unmotivierte Mitschüler in eine 48stündige Marathonsitzung, um eine Imagekampagne für einen Energydrink zu entwerfen. Die Konkurrenz aus der Parallelklasse hat eigentlich gar keine Lust auf den Wettbewerb – Leon und Julia rocken sich ihren Frust von der Seele, Marek probt am PC den Amoklauf. Der entspannte, aber verunsicherte Timm sitzt zwischen allen Stühlen.

Notenstress, Liebeskummer, Gewaltfantasien, abwesende Eltern und desinteressierte Lehrer, Neoliberalismus schon im Klassenzimmer. Die Geschichte deutet durchaus glaubwürdig jede Menge Probleme an, springt in der Inszenierung des renommierten Grips-Regisseurs Frank Panhans aber zu hektisch zwischen den Szenen hin und her. So bringen die Tanz- und Musikeinlagen (Choreografie Marcus Grolle), bei denen die Darsteller auf der wie ein Mix zwischen Sportplatz und Gameshow-Studio gestalteten Bühne Schultaschen werfen müssen, die Geschichte keineswegs voran, sondern wirken wie aus einer Werbung für – ja, eben: Energygetränke. Die fünf Darsteller, bis auf Nina Reithmeier und Sebastian Achilles in Doppelrollen, agieren zwar gewohnt professionell, doch sind die Charaktere dermaßen schablonisiert, dass Identifikation scheitern muss. Degradiert zu bloßen Stereotypen – die ehrgeizige Karrieristin, der Punk mit Verweigerungshaltung, die hübsche Doofe, der schüchterne Computernerd mit Amok-Träumen usw. – bleiben die Protagonisten blasse Problemhülsen. Die in Teilen aufgesetzt-künstliche »Jugendsprache« verstärkt diesen Eindruck. Insgesamt wünscht man sich für die bewegungsreiche Inszenierung weniger Zappeligkeit und etwas mehr Tiefgang.

22.2., 16.3., 26.4., 18 Uhr; Grips Theater, Altonaer Str. 22, Tiergarten, Karten unter (030)39 74 74 77

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