Im zweiten Jahr

Zeitungszeugen

Als Anfang 2009 das Projekt »Zeitungzeugen« des britischen Verlegers Peter McGee auf dem deutschen Markt erschien, war die mediale Aufregung groß. Nachdrucke von Zeitungen aus der Nazizeit, darunter solche Hetzblätter wie der »Völkische Beobachter«, »Der SA-Mann«, die »Nationalzeitung« und »Der Angriff«, jede Woche an den Kiosken, kombiniert mit historischer Kommentierung – das löste einerseits Zustimmung, andererseits schwere Bedenken aus. Lebendige Geschichte gewissermaßen aus erster Hand, meinten die Befürworter; schlimmste Nazipropaganda im Original, mit der Schindluder getrieben werden könnte, befürchteten die Kritiker, darunter Holocaust-Überlebende.

Ein gutes Jahr danach ist längst Ruhe eingezogen. Chefredakteurin Sandra Paweronschitz sagte auf ND-Anfrage, nur ganz am Anfang des Projekts habe es einige Hinweise darauf gegeben, dass Neonazis sich an den Nazipostillen delektiert hätten. Und unter den mittlerweile rund 7000 Leserzuschriften, die man erhalten habe, seien nicht mal zehn mit rechtsextremistischem Inhalt. Die Nazischlagzeilen der Hitler-Zeit liegen ja auch nicht offen am Kiosk: Verpackt in einem Mantel mit zeit- und pressehistorisch einordnenden Texten, sind die alten Zeitungen Teil einer Geschichtslektion, die den Geist jener Zeit zuweilen beklemmend nahe bringt. Sichtbar wird immer wieder, wie wenig sich die vermeintlich gutbürgerlichen Zeitungen unterm Druck der Gleichschaltung noch von NS-Publikationen unterschieden. Daneben kann man auch Blätter der Sozialdemokraten und Kommunisten sowie der Exilopposition nachlesen.

Ursprünglich für ein Jahr angelegt, gehen die »Zeitungszeugen« nun über die doppelte Zeit. Man musste, sagt Paweronschitz, erst einmal sehen, wie die Idee angenommen wird. Die Nachfrage sei zufriedenstellend, man mache keine Verluste. Zu dieser Einschätzung müssen die Macher schon frühzeitig gekommen sein, denn spätestens im Herbst des vergangenen Jahres war angesichts der Heftthemen absehbar, dass bis Ende 2009 die Entwicklung von 1933 bis 1945 nicht abgearbeitet sein würde.

Dabei meint Paweronschitz, dass der langwierige Rechtsstreit mit dem Freistaat Bayern über die Rechte an diversen Nazizeitungen und die Tatsache, dass gleich Nummer 2 mit dem »Völkischen Beobachter« teilweise beschlagnahmt wurde, dem Unternehmen »Zeitungszeugen« eher geschadet haben. Zwar war das öffentliche Aufsehen beträchtlich und durchaus eine gewissen Werbung. Aber die Drohung Bayerns, den Nachdruck von zahlreichen Zeitungen zu verbieten, habe Unsicherheit verbreitet und viele Interessenten abgeschreckt, ein Komplettabonnement abzuschließen. Immerhin ist der Ruf der »Zeitungszeugen« unter Fachleuten unbeschädigt – nicht ein einziger von Experten erbetener Gastbeitrag sei aus prinzipieller Ablehnung des Unternehmens verweigert worden, so die Chefredakteurin.

Der Vertrag von Sandra Paweronschitz reicht bis Ende 2010. Gleichwohl gebe es Überlegungen, die »Zeitungszeugen« fortzusetzen. Noch sei nichts entschieden. Aber auch die Nachkriegszeit wäre es wert, auf diese Weise dokumentiert zu werden. Erfahrung mit dieser Art Geschichtsaufarbeitung hat Verleger McGee: Zu seinen bisherigen Projekten gehörte eine Reihe »Zeitungszeugen« über die Nazizeit in Österreich.

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