Die Störung

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.
Klaus Löwitsch in »Welt am Draht«
Klaus Löwitsch in »Welt am Draht«

Ob sich Rainer Werner Fassbinder der Hellsichtigkeit seines Zweiteilers »Welt am Draht« von 1973 für den WDR bewusst war, kann man nur ahnen. Heute, 37 Jahre später, weiß man sein Gedankenexperiment um künstliches Bewusstsein und Manipulation verdammt aktuell. Der damals erfolgreich ausgestrahlte Streifen wurde in aufwendiger Prozedur digital restauriert, erlebte nun während der Berlinale seine Wiederaufführung, wirkt verblüffend modern.

Der Roman »Simulacron III« des US-Amerikaners Galouye gab nur die Anregung für Fassbinders eigenes Sinnieren über Sein und Schein. Er lässt mittels eines Rechnelektronisch, also über die Verknüpfung eines Bündels von Drähten, Identitätseinheiten konstruieren – künstliche Wesen, die eine virtuelle Welt bevölkern. Das Simulationsmodell menschlichen Verhaltens entstand im Auftrag der Regierung, es kann Prognosen liefern. Was wissenschaftlichen Interessen dienen soll, weckt die Begehrlichkeit eines Stahlkönigs, sich über eine inoffizielle Prognose Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

Diesem kriminellen Konflikt verschachtelt sich der gewichtigere, Platon und Aristoteles zitierende philosophische Konflikt: welche Welt die reale ist, jene, die Simulacron III entwirft, oder jene, in der die Programmierer zu leben glauben. Wer nicht funktioniert oder, wie im Fall Professor Vollmers, um die Verknüpfung der Welten weiß, wird getötet oder wegprogrammiert, die Erinnerung an ihn gelöscht. Für Vollmers Nachfolger Stiller setzt ein atemloses Verwirrspiel ein, das ihn schier in den Wahnsinn treibt, bis er der Wahrheit seiner Existenz auf die Spur kommt und stirbt, um in der realen Welt oder nur deren perfekterer Nachbildung neu geboren zu werden.

Ungemein spannend und elegant ist das von Michael Ballhaus in futuristische Bilder gesetzt, mit einer Kamera, die Gesichter einfriert, oft schockiert flieht. Fassbinder hält die Akteure zu unterkühltem Spiel mit unbewegtem Gesicht an, als wären sie computersimulierte Barbiepuppen. Dass er im Gegensatz zu seinen Nachfolgern der Sience-Fiction-Produktion fast gänzlich auf Action verzichtet, geradezu gespenstisch ruhig obwalten lässt, verleiht seinem 200-minütigen Zweiteiler sorgenvolle Tiefe über die menschliche Zukunft. Klaus Löwitsch ist Stiller mit dem Namen jenes Identitätsflüchtlings bei Max Frisch; Ivan Desny, Günter Lamprecht, Mascha Rabben, Barbara Valentin gehören zur Fassbinder-Crew wie prominente Gäste von Eddie Constantine bis Christine Kaufmann und Werner Schroeter.


Die Hauptrolle in »Welt am Draht« spielt Klaus Löwitsch, der 2002 starb. Im Folgenden Auszüge aus einem unveröffentlichten Gespräch, das Hans-Dieter Schütt 1996 führte.

ND: Anfang der siebziger Jahre lernten Sie Fassbinder kennen und Sie sagten später: »Es war eine Beziehung auf den ersten Blick.« Was machte diese Magnetwirkung aus?
Löwitsch: Fassbinder wurde auf mich aufmerksam durch den Bundesfilmpreis, den ich für »Mädchen mit Gewalt« bekam. Es gab eine gute und eine schlechte Fassbinder-Zeit. Die erste war die gute, da war er ein wahnsinnig neugieriger, frecher, kreativer Typ. In dieser Zeit war ich für ihn so etwas wie ein Identifikationsdarsteller. Fassbinder holte seine Kühnheit irgendwie aus all der Angst, die er hatte. Vielleicht war ich für ihn so, wie er gern gewesen wäre, als Mann. Diese typenreale Vorstellung hielt bis »Welt am Draht«. Bei diesem Film haben wir uns überworfen. Überall sah er Konkurrenten. Da er süchtig war, übte ich ab einem bestimmten Moment eine dauernde Provokation auf ihn aus.

Wie war Fassbinder?
Fassbinder hätte es nicht gegeben, wenn nicht in den Führungsfunktionen des Geschäfts Leute gesessen hätten, die das Undefinierte, Unausgearbeitete spannend fanden. Toll, wie dieser Regisseur seine Obsessionen behauptete, gegen das Kommerzielle, gegen das Fernsehen. Man musste sich als Geldgeber auf ein unkalkulierbares Abenteuer einlassen. Das war, von heute aus betrachtet, von geradezu historischer Größe.

Sie sagten, Sie übten eine Provokation auf ihn aus.
Ja, ich begann, mich vom Alkohol zu lösen, bemühte mich, disziplinierter zu sein, brachte also so was wie Ordnung in mein Leben und wurde in dieser Situation sicher auch merklich enger. Da passte eines Tages nichts mehr zusammen. In der Selbstzerstörungsphase sind Menschen offenbar auch am vitalsten, er war es, damit kam ich nicht mehr klar.

War Fassbinder despotisch?
Wir haben uns nach fünf Minuten geprügelt. Ich fraß ihm nicht aus der Hand, ich war der erste Profi, auf den er sich eingelassen hat. Der erste professionelle Schauspieler unter lauter Laien.

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