Eine Busreise nach Sachsen
Über 10 000 Menschen blockieren in Dresden erstmals den größten Naziaufmarsch Europas
Berlin-Friedrichshain, 4.30 Uhr am Samtstagmorgen. Neben der neuen Mehrzweckhalle an der Spree herrscht hektisches Treiben. Heute wird sich zeigen, wie gut die über einjährige Planung des Bündnisses »Nazifrei! Dresden stellt sich quer« in die Tat umgesetzt werden kann. Das Ziel: Der Aufmarsch von Nazis, die das Gedenken an die Bombardierung Dresdens am 13. und 14. Februar 1945 vereinnahmen wollen, soll verhindert werden. In diesem Jahr kann es erstmals wirklich klappen.
Ab kurz vor fünf Uhr kommen die Busse an. Immer mehr Menschen strömen von Ostbahnhof und Warschauer Straße an den Abfahrtsort. Für gut 1300 Plätze wurden Fahrkarten verkauft. Die Busbetreuungsteams finden sich, das Material für die einzelnen Busse verteilt. Stadtpläne, Infomaterial, auch eine Rolle stabiles Klebeband gehört dazu. Auf der Rückfahrt soll es in einem großen Kreuz in die Busfenster geklebt werden, damit diese im Fall eines Angriffes auf die Busse nicht splittern, nach innen fallen und die Insassen verletzten. Eine Vorsichtsmaßnahme, die leider sein muss, heißt es, ein Erfahrungswert. Es ist vorgekommen, dass nach Naziaufmärschen auf Raststätten Rechte lauerten oder die Busse bei der Abfahrt mit Steinen bewarfen.
Mit einer Stunde Verspätung geht es los. Bei einem Zwischenstopp treffen weitere Busse aus Brandenburg ein und sammeln sich zum Konvoi. Über 30 Busse sind es dann, die von der Autobahn abfahren, den Weg in die Stadt einschlagen. Im Bus kann man die Spannung fast riechen. Nachdem die Polizei angekündigt hatte, die Busse schon an der Landesgrenze zu stoppen und in stundenlangen Kontrollen festzuhalten, weiß niemand, was jetzt passiert. Linke Bundestagsabgeordnete, Rechtsanwälte und Journalisten sind auf die Busse verteilt, um im Konfliktfall mit der Polizei zu verhandeln und zu vermitteln.
Insgesamt 7000 Beamte sind in Dresden aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengezogen. Bereits am frühen Morgen gleichen die Straßen um den Neustädter Bahnhof einem Heerlager, in dem auch Wasserwerfer und Räumpanzer aufgefahren sind. Nazis sind zu dieser Zeit am Sammelpunkt noch wenige zu sehen, dafür erscheinen sie in um so größerer Zahl auf dem Heidefriedhof: Im Gefolge mehrerer NPD-Abgeordneter um Fraktionschef Holger Apfel marschiert ein Block von 60 schwarzgekleideten Nazis auf. Auf dem Friedhof findet traditionell eine Ehrung der Opfer des alliierten Luftangriffs statt – an einem Mahnmal mit der in Stein gehauenen Inschrift »Wie viele starben? Wer kennt ihre Zahl?« Es ist genau diese Frage, um die es den Rechten bei ihrer Vereinnahmung des Gedenkens in Dresden geht: Während eine Historikerkommission von 25 000 Opfern ausgeht, spricht die rechte Propaganda von mehr als zehnmal so vielen und stellt die Zerstörung Dresdens als »Bombenholocaust« mit der Vernichtung der europäischen Juden auf eine Stufe.
Jahrelang blieben derlei infame Behauptungen auf dem Friedhof unwidersprochen, weil man an der Tradition eines stillen Gedenkens festhalten wollte. 2009 konnte sich Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) erstmals zu deutlichen Worten durchringen. Heute betont sie im Beisein von Stefan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, wer »wie diese Nazi-Typen« Tote mit Toten, Verlust mit Verlust und Leid mit Leid vergleiche, der »schändet die Opfer und verhöhnt ihr Vermächtnis«. Der Stadt und ihren Bürgern sei an Versöhnung gelegen, nicht an Revanchismus, Hass und Gewaltpropaganda.
In den Berliner Bussen haben unterdessen alle ihre Jacken und Schuhe wieder angezogen, den Schlaf aus den Augen gerieben und wundern sich: Der Bus ist schon fast am Blockadepunkt in Dresden angekommen und noch keine Vorkontrolle in Sicht. Dann sind die Mannschaftswagen zu sehen. An der nächsten Kreuzung halten die Busse, die Menschen steigen schnell aus, eine Fahne geht hoch – hier soll sich der Berliner Konvoi sammeln. Antifaschisten aus Nordrhein-Westfalen, die schon eine Blockade aufgebaut haben rufen zur Eile. Fast 1500 Leute sind auf der Straße, rennen 50 Meter, drücken sich leicht durch eine dünne Polizeikette. Kurz nach neun Uhr, die Hansastraße Ecke Großenhainer Straße ist dicht. Isomatten werden ausgerollt, Styroporplatten und Plastikplanen werden ausgelegt, die Straße ist nass, matschig vom Schnee und kalt. Man nimmt Platz – und bleibt bis zum späten Nachmittag sitzen, in Hochzeiten bis zu 4000 Leute. Auch viele Bürger Dresdens kommen vorbei.
Im Schneidersitz und eng aneinandergerückt heißt es für die kommenden Stunden: Ausharren. Es ist halb zehn. Die Stimmung ist trotz eisiger Temperaturen gut, Neuankommende werden jubelnd begrüßt, zum Aufwärmen gibt es heißen Tee und Suppe. Das Spektrum derer, die hier aufeinandertreffen, ist weit, altersmäßig wie auch politisch. Linke aus den sozialen Bewegungen und Jungantifas sind genauso angereist wie Parteilinke oder DKP. Überall werden Taschenradios oder Handys mit Radioempfang in Betrieb genommen. Über ein Aktionsradio wird das Geschehen anderswo in der Stadt mitverfolgt. Stehen die anderen Blockadepunkte noch? Wo sind die Nazis? Wieso ging das Blockieren so einfach?
»Die Strategie stand von Anfang an fest«, wird der sächsische Landespolizeipräsident, Bernd Merbitz, am Nachmittag sagen. Man wollte sich im Vorfeld selbstverständlich nicht in die Karten gucken lassen, sagt Merbitz.
Vier Landtagsfraktionen der LINKEN halten eine öffentliche Fraktionssitzung ab. Konkret stehen sie und zwar mit einem Transparent vor der Blockade. »Wir sind mit 29 Bussen aus ganz Thüringen hier«, sagt Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender im Landtag. Damit ein Angriff wie im Vorjahr sich nicht wiederholen kann, seien Polizeifahrzeuge als Begleitung mitgefahren. Ramelow ist viel unterwegs an diesem Tag. Vermittelt zwischen Blockierern und Polizei, guckt, wie es bei den Nazis am Bahnhof aussieht. Sie stehen mit den Fraktionen in der ersten Reihe, damit man nicht hinterher wieder »den jungen Leuten die Schuld in die Schuhe schieben kann und die Nazis als die guten Jungs dastehen, wenn etwas passiert«, sagt Ramelow.
Die beiden Unterführungen, die zwischen der blockierten Hansastraße und Elbe liegen sind um halb zehn ebenfalls längst besetzt, an den Transparenten kann man sehen, dass hier der Buskonvoi aus Nordrhein-Westfalen angekommen ist. Ein Blick zurück in die Straße, da kommt noch ein Strom Menschen, wo er endet ist nicht zu sehen. »Wir kommen aus Erfurt«, sagt einer »mit den Bussen aus Leipzig«, antwortet ein anderer, »wir kommen aus Wien und sind schon seit gestern hier«, ein Dritter.
Am Albertplatz auf der anderen Seite des Bahnhofs, ist ebenfalls kein Durchkommen. Zwischen ein- und zweitausend Menschen halten den Platz besetzt. Auf einer Bühne beginnt Konstantin Wecker seinen Auftritt. »Ich singe seit 40 Jahren gegen Nazis. Es hat wohl noch nicht viel gebracht, aber ich werde nicht damit aufhören«, sagt Wecker ins Mikrofon.
Zwischendurch wird es unruhig, 1000 Nazis sollen von ihren Bussen zum Bahnhof gehen. Es könnte zur Konfrontation kommen, die Polizei zieht dreireihige Ketten über die Straße. Später heißt es, das Alternative Jugendzentrum Conni sei von Nazis angegriffen worde. Es gebe Schwerverletzte. An anderer Stelle werden Busse anreisender Nazis angegriffen, Scheiben gehen zu Bruch, es entsteht ein Schlägerei, die Nazis flüchten, Verletzte auf beiden Seiten.
An der Hansastraße kommt über Megafon immer wieder die Durchsage: »Ihr seid dort, wo Ihr steht, genau richtig. Bleibt dort. Es ist wichtig, dass wir diesen Punkt halten.« Zwischendurch gibt es die Unsicherheit, ob es am Ende ausreichen wird, um den Aufmarsch der Nazis zu verhindern. Gegen 14.30 Uhr zeichnet sich zum ersten Mal ab, dass die Nazis wahrscheinlich nicht laufen dürfen. Zwischendrin sieht es wieder anders aus. Freude und Frust bei den Blockierenden wechseln mit der Nachrichtenlage.
Dass Orosz am Friedhof morgens tatsächlich für viele Bürger sprach, zeigt sich später rund um die historische Altstadt. Diese sollte gemäß dem Aufruf eines breiten Bündnisses mit einer symbolischen Menschenkette gegen die Rechtsextremisten geschützt werden. Im Voraus hatte es einige Skepsis gegeben, ob sich tatsächlich die rund 5000 Menschen zusammenfinden würden, die für das knapp zwei Kilometer lange Band genötigt würden. Noch 2009 hatten schließlich nur beschämend wenige Dresdner an Protesten teilgenommen, den ein »GehDenken«Bündnis ausgerichtet, dem sich die CDU aber verweigert hatte. Erst die weltweit verbreiteten Bilder eines ungestört durch die unmittelbare Innenstadt ziehenden Aufmarschs Tausender Nazis bewirkte offenbar ein Umdenken.
An diesem Samstag gibt es andere Bilder zu sehen: Als die Kette gegen 14 Uhr geschlossen wird, zieht sich ein dichtes Band von der Synagoge vorbei am Rathaus mit dem Denkmal der Trümmerfrauen bis zum Altmarkt, wo in den Tagen nach dem Bombardement viele der Opfer verbrannt worden waren. Der Zustrom ist so groß, dass die Menschen oft in zwei Reihen stehen und die Kette spontan verlängert wird, sich über den Neumarkt und um die Frauenkirche zog und selbst die Semperoper erreichte. Viele der vom Rathaus geschätzten 15 000 Teilnehmer haben vermutlich erstmals am Protest gegen Rechtsextremismus teilgenommen, der im bürgerlichen Dresden bislang allzuoft mit Linksextremismus gleichgesetzt wurde, merken Beobachter an. Sie sei »überwältigt«, sagt Orosz und betont unter Applaus, man wolle sich den »Alt- und Jungnazis, die versuchen, den Tag der Trauer zu missbrauchen«, entgegenstellen: »Wir brauchen sie hier nicht.« Bevor im Februar 1945 Dresden brannte, so sagte sie, »brannte Sempers Synagoge, brannten Warschau, Rotterdam und Coventry«. Mit der Menschenkette, an der auch Regierungsmitglieder, viele Landespolitiker und Prominente teilnahmen, wolle man eine »starke und schützende Kette um unsere Stadt« legen und diese so zu einer »Festung gegen Intoleranz und Dummheit« werden lassen. Die Menschenkette ist zwar ein starkes und so in Dresden bislang nicht gesehenes Symbol. Den Aufmarsch der Nazis aber hätte sie nicht verhindern können.
Die stehen unterdessen noch immer am Bahnhof und hören den Lügen ihrer Vortänzer zu, die von 250 000 Toten bei den Bombenangriffen erzählen. Ein Polizeisprecher sagt, es sei »nicht unwahrscheinlich«, das bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Aufmarsch verboten werden könnte Die Straßen rund um den Bahnhof sind dicht. Schließlich ist es offiziell. Die Nazis hatten ihren Aufzug bis 5 Uhr angemeldet, kurz vorher lösen sie ihre Veranstaltung auf. Ein Redner versucht die Menge anzustacheln poltert gegen »Linksfaschisten« und einen vermeintlich »das Recht brechenden Staat mit seiner Polizeiarmee«. Es fliegen Schneebälle und auch Plastikflaschen auf Polizei und Journalisten.
»Die Polizei sagt den Nazis quasi im Sekundentakt, dass sie in ihre Züge steigen sollen«, sagt eine Sprecherin durchs Megafon. An der Hansastraße bricht lauter Jubel aus. Was alle gehofft aber vielleicht nicht im selben Maß für möglich gehalten haben, es ist geglückt.
Ab halb sechs werden die Blockden aufgelöst. Der Weg zu den Bussen, die an der Elbe stehen, gleicht einem Triumphzug. Über 3000 Menschen gehen mit lockerer Polizeibegleitung und »Dresden Nazifrei!« skandierend zum Alberplatz und sammeln die anderen Berliner Mitfahrer ein. Als der Zug an die Berliner Polizei »übergeben« wird, droht kurzzeitig eine Eskalation. Die Beamten stoppen den Zug, lassen sie eine halbe Stunde auf der Brücke stehen. Sie habe in der Situation gedacht, dass die Berliner Polizisten »noch mal kräftig die Antifa aufmischen wollen«, sagt später die Bundestagsabgeordenete Ulla Jelpke (LINKE) im Bus und nennt das Verhalten »typisch«.
Die Stimmung im Bus ist auf der Rückfahrt von Müdigkeit geprägt. Froh sind alle und bis auf die Knochen durchgefroren. »Wenn das im nächsten Jahr nochmal klappt, haben wir es geschafft, den Nazis Dresden abzunehmen«, sagt einer. Viele Aktivisten sind der Meinung, dass sich die Nazis ihren größten Aufmarsch in Dresden nicht kampflos abnehmen lassen werden. Deshalb sei es wichtig, dass man auch im nächsten Jahr eine große Mobilisierung hinbekommt.
Aber am Samstagabend wurde der Sieg gefeiert – und das verdient.
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