Stunde der Jäger

Gunnar Decker über »Zeit des Zorns« von Rafi Pitts (Wettbewerb)

  • Lesedauer: 3 Min.
Es ist absurd, dass im 21. Jahrhundert Menschen sterben, bloß weil sie sagen, was sie denken.«
Rafi Pitts
Rafi Pitts, Darsteller, Drehbuchautor, Regisseur
Rafi Pitts, Darsteller, Drehbuchautor, Regisseur

Der Iran von heute macht immer mehr Menschen einsam. Was soll man auch tun in einem Land, in dem Wahlen auf schamlose Weise gefälscht werden, in dem die Rechte des Einzelnen so gar nichts gelten?

Rafi Pitts, Jahrgang 1967, Sohn eines Briten und einer Iranerin, stellte noch in seinem letzten Film »It's Winter« die Ohnmacht des Einzelnen in den Mittelpunkt. In »Zeit des Zorns« ist es die Revolte. Die Dreharbeiten in Teheran fielen in die Zeit der Proteste der Opposition gegen die Wahlfälschung und deren blutige Niederschlagung. Der Regisseur selbst spielt die Hauptrolle. Ein schweigsamer Mann, politisch vorbelastet, bereits im Gefängnis gewesen, lebt mit Frau und Tochter ein zurückgezogenes Leben. Er arbeitet in einer Fabrik in der Nachtschicht und an den Tagen geht er jagen in den Wäldern rund um die Stadt.

Ein Mann und sein Gewehr. Wir sehen nie, worauf er schießt. Rafi Pitts zieht sich hier auf existenzielle Metaphern zurück, das Schweigen in diesem Film ist das vor dem Sturm. Manche Kritiker zeigten sich bereits erstaunt und enttäuscht darüber, dass Pitts keinen politischen Protestfilm gemacht habe, sondern wir immer ihn selbst als in sich gekehrten, geradezu erstarrten Mann sehen, den nur noch wenig dazu bringt, sich unterzuordnen.

Eines Tages sind seine Frau und Tochter verschwunden. Nach langem Warten vor Behördentüren, endlosen Wegen durch irgendwelche Korridore, lässt es sich vor ihm nicht länger verheimlichen: Sie sind tot, erschossen bei Straßenkämpfen von Polizei und Aufständischen. Ein Versehen, mehr nicht. Der Mann nickt und wir wissen, für ihn ist sein Leben beendet. Nun beginnt ein Roadmovie, die Elegie einer Rache, so subtil gefilmt in melancholischen Einstellungen, als gelte es einen langen Abschiedsblick auf dieses Land zu werfen, auf Teheran mit seinen überfüllten Stadtautobahnen, die diese Stadt so verwirrend westlich wirken lassen, dass der Anachronismus eines religiös verfassten Staates in jedem Bild spürbar bleibt. Welch unerträgliche Einschnürung! Aber auch für Iran gilt: Wie es ist, kann es nicht bleiben. Der Regisseur über Amerika und Iran »Da hassen sich zwei Staaten, aber was den Wahnsinn der Städte betrifft, nehmen sie sich nichts. Die Straßen, die Hausflure, die Korridore, es ist ein Labyrinth, und auch der Wald in der in der zweiten Filmhälfte ist ein Dschungel, ohne Grün, ohne Blätter, ohne Ausweg.«

Doch dieser Film ist kein bloßes Dokument der Ausweglosigkeit. Denn der Mann nimmt sein Gewehr, stumm und entschlossen. Wie in Hermann Hesses Autojagdkapitel im »Steppenwolf« beginnt er von einem Hügel aus die Autos auf dem Highway zu beschießen. Ein Amokläufer, ein Terrorist? Ein Partisan in eigenem Auftrag. Ein Mörder aber nun auch er, denn er erschießt wahllos einen Polizisten vor seinem Auto. Das ist noch nicht das Zeichen für einen Neuanfang, das ist der absolute Endpunkt. Wenn ein so stiller Mensch sein Gewehr nimmt und auf die Polizei schießt, dann kann es niemand mehr übersehen.

Wie Rafi Pitts nun die Jagd auf den Mann zeigt, das bekommt absurde Züge. Denn die beiden Polizisten, die ihn schließlich im Wald überwältigen, hassen sich gegenseitig, zumal sie sich nun auch bei strömendem Regen im Wald verirren. Noch weiß niemand, wo der Ausweg ist, aber immer mehr beginnen nun, nach ihm zu suchen.

Eine starke Botschaft, ein hoch poetischer Film. Gerade deswegen, weil er hinter die bloß politischen Fragen zurückgeht, wird er seine Wirkung nicht verfehlen. Mein Favorit für den Goldenen Bären.

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