China im Anmarsch
Die Volksrepublik erobert den Wintersport
Margaret Yeung sitzt jeden Abend vor dem Fernseher, doch an die Bilder kann sie sich schwer gewöhnen. Chinesen mit einem Stock in der Hand und einer Hartgummischeibe. Chinesen mit Wischmob und einem schweren Granitstein. Chinesen auf einer Schneeloipe mit einem Gewehr auf dem Rücken. »Das sieht komisch aus«, sagt sie und lacht. »Aber glauben Sie mir: Früher oder später wird China auch im Wintersport mit Abstand Nummer eins sein.« Am Ende des Satzes ist ihr Lachen verstummt.
Margaret Yeung ist vor 35 Jahren aus Shanghai mit ihrer Familie nach Vancouver übergesiedelt. Sie wollte ein besseres Leben, Geld, Freiheit. 1985 half sie beim Aufbau des Chinesischen Gartens im Ostteil der Stadt, bis heute arbeitet sie hier. Die Einrichtung ist Symbol der Gemeinschaft, 30 Prozent der 2,3 Millionen Einwohner im Großraum Vancouver haben chinesische Wurzeln. Wie Yeung verfolgen sie zwei Nationen bei diesen Spielen: ihre neue Heimat, Kanada, und die Chinesen, die einen steilen Aufstieg planen.
Hundert Medaillen sammelten Athleten aus China 2008 bei ihren Sommerspielen in Peking, 51 in Gold, keine Nation war besser. Ein Jahrzehnte langer Masterplan mit Sichtung in Kindergärten und Drill in 3000 Sportschulen ging auf. Die Kommunistische Partei will mit sportlichen Erfolgen ihre Stärke unterstreichen. »Warum sollte sie damit in den kalten Monaten Pause machen?«, fragt Margaret Yeung. Auf fünf Goldmedaillen hofft man in Vancouver. Den Anfang machten das Eiskunstlaufpaar Xue Shen und Hongbo Zhao. Es war erst das fünfte Gold, seit die Chinesen 1980 in Lake Placid zum ersten Mal bei Winterspielen dabei waren.
Vor gut zehn Jahren wurde in China erstmals organisiert Wintersport betrieben. Seither soll sich die Zahl der Aktiven verzehnfacht haben, auf über vier Millionen. Die Zentren liegen im Norden, in den Provinzen Heilongjiang und Jilin. Acht Skihallen sind in Peking oder Shanghai entstanden, zehn weitere sollen folgen. Im Westen, nahe der Stadt Kanas, soll durch Investitionen von rund 514 Millionen Euro das größte Skigebiet Asiens entstehen. Das Ziel von Wintersportdirektor Zhao Yinggang: 30 Millionen Wintersportler bis 2030.
In Kanada ist China mit 90 Athleten in zehn Disziplinen vertreten. Gekommen, um zu lernen, das gilt auch für Dongyan Li. Er sitzt in der Curling-Halle und betreut das chinesische Männerteam. Vor sechs Jahren hörte er zum ersten Mal von Curling. Er erhielt einen staatlichen Auftrag, half beim Aufbau einer Mannschaft. »Wir stehen erst am Anfang.« Das Frauenteam wurde 2009 bereits Weltmeister, dank ihres kanadischen Trainers Dan Rafael. Auch in den Wintersportarten setzen die Chinesen längst auf Auslandshilfe.
Dafür wollen die Chinesen ihre eigene Bühne: Harbin, mit neun Millionen Einwohnern im Nordosten gelegen, soll spätestens 2022 die Olympioniken beherbergen. 2009 war die Stadt Gastgeber für die Studenten der Winter-Universiade. Auch um Olympia hatte sich Harbin schon einmal bemüht: Die Chinesen schieden im Vorfeld aus. Am Ende gewann Vancouver.
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