Sie holten sich den Stoff, und das war's

Der »Jud Süß«-Forscher Friedrich Knilli und seine seltsamen Erfahrungen mit Regisseur Oskar Roehler

  • Angelika Kettelhack
  • Lesedauer: 2 Min.
Regisseur Oskar Roehler während der Dreharbeiten Foto. dpa
Regisseur Oskar Roehler während der Dreharbeiten Foto. dpa

Oskar Roehlers neuer Film »Jud Süß – ein Film ohne Gewissen« wurde durch das Buch »Ich war Jud Süß – Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian« von Prof. Friedrich Knilli inspiriert. Zumindest steht es so in den Ankündigungen zu Roehlers Film.

Professor Knilli hat an der Technischen Universität Berlin jahrelang als Literatur- und Medienwissenschaftler zusammen mit vielen Generationen von Studierenden zu dem verunglimpfenden Motiv des »ewigen Juden« geforscht. Anlass war der von Goebbels auf den Weg gebrachte antisemitische Film »Jud Süß« von 1940. In allen Debatten ging es immer wieder um die Fragen: Ist dieser Nazi-Film, für dessen Realisierung Goebbels den Regisseur Veit Harlan gewinnen konnte, wirklich ein mieses Propaganda-Stück oder funktioniert er wie ein normales Melodram der damaligen Zeit? Und inwieweit haben sich der Regisseur Harlan und der von Goebbels ausgewählte Schauspieler Ferdinand Marian mitschuldig gemacht an einer infamen Nazi-Propaganda?

Veit Harlan konnte sich nach dem Krieg vor Gericht »reinwaschen«, während die Schmach am Süß-Darsteller Ferdinand Marian hängenblieb. Am Tag, als sein von den Alliierten verhängtes Berufsverbot wieder aufgehoben wurde, verunglückte er tödlich im Auto. Immer noch hält sich das Gerücht, dass Marian Selbstmord begangen habe. Sicher ist, dass sich seine Ehefrau, zermürbt durch die ständigen Gerichtsverhandlungen, umbrachte.

Friedrich Knillis Recherchen ergaben, dass »Jud Süß«, nachdem er bei den Filmfestspielen in Venedig ein Riesenerfolg war, von Himmler in Deutschland aus den Kinos genommen wurde. Nicht etwa, weil er ihn für gefährlich hielt, sondern für besonders gut geeignet, um ihn so häufig wie nur möglich an der Front einzusetzen.

Von all diesen kostbaren Recherchen hat Roehler, dessen Arbeit sich auch um Ferdinand Marian und Goebbels dreht, zum Bedauern von Knilli kaum Notiz genommen. Er wollte mit dem Wissenschaftler gar nicht erst reden.

Das ist sein gutes Recht als Regisseur. Mehr als unfreudlich aber ist es, dass der Autor für die Nutzung seines Buches kein Honorar bekam. Die Begründung durch den Produzenten Novotny, so Knilli im Interview: »Das ist ein künstlerischer Film. Wir haben uns von Ihnen den Stoff geholt. Da es aber ein wissenschaftlicher Stoff ist, brauchen wir Ihnen nichts zu zahlen.« Dabei hatte Knilli schon lange zuvor mit der filmischen Umsetzung seines Buches »Ich war Jud Süß – Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian« begonnen. Zusammen mit Klaus Richter als Drehbuchautor (»Comedian Harmonists«) und Frank Beyer. Leider beendete der Tod des Regisseurs das Projekt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.