Wege der Liebe
Es ist der Einfall und dann die literarisch konsequente lustvolle Ausführung, die diesen Film so unwiderstehlich machen. Endlich mal einer, der es bringt, Unterhaltung und Bedeutung unter einen Hut zu bringen. Vielleicht hat es so was schon gegeben und es ist uns entgangen. »The Kids Are All Right« von Lisa Cholodenko braucht in allen seinen Wendungen die Realität fast nicht, seine Erfindungen reichen aus, um realistisch genau genug und dabei sehr schön zu sein. Kein Wort zu viel, zu wenig.
Die Story, ein dramaturgischer Wunschtraum: Ein Frauenpaar, nicht mehr sooo jung, lieben sich. Sie sind lesbisch. Sie leben mit ihren Kindern in einem schönen Haus. Die Kinder sind schon groß, gerade noch, dass sie ihre Mütter brauchen. Ein Bub und ein Mädchen, Joni und Laser, so heißt man dort, wo sie her sind. Beide, wie nennt man das, sind Retortenkinder, im Reagenzglas gezeugt. Als sie ungefähr Achtzehn sind, wollen sie ihren biologischen Vater finden. Die Frauen heißen Nic und Jules. Gespielt von Annette Benning und Julianne Moore. Einer ist bald gefunden. Dann wird der zweite gesucht und gefunden. Es ist derselbe. Mark Ruffalo spielt ihn. Er hat eine Neuigkeit mitzuteilen. In der Klinik oder wo auch immer hat man ein und dasselbe Sperma benutzt. Ein Aufwasch. Realistisch oder nicht, hier ist es so. Paul, der Vater hat das gewusst. Er hatte genug Sperma, irgendwie kam es, dass es von zwei Frauen genutzt wurde. Paul findet das nicht tragisch.
Alle beide Frauen und Mütter verlieben sich in ihn. Also noch mal zum Mitschreiben. Zwei Frauen entdecken, dass sie Kinder haben, die untereinander verwandt sind. Spätere Heirat also ausgeschlossen. Aber so weit muss es ja nicht kommen. Mark Ruffalo meistert die Rolle mit Bravour, immer cool bleiben. Er verliebt sich in die eine der Mütter. Die andere merkt es. Ihre Freundschaft droht in die Brüche zu gehen, als die andere den Liebesverrat bemerkt.
Wie realistisch, aber auch wie feinfühlig die Story gespielt wird, das ist ohne Vergleich. Paul macht den Fehler, nur mit der einen zu verkehren. Wie stark das geschieht, muss man gesehen haben. Es wird gezeigt. Die andere kommt dahinter. Was geschieht, ist das Bersten der engen Beziehung zwischen den Frauen. Alle werden unglücklich. Die Kinder gehen sowieso bald aus dem Haus.
Die Geschichte hier zu Ende zu erzählen, vor allem Pauls Geschichte, der nichts dafür kann, das will ich jetzt nicht erzählen. Ich glaube, es gibt momentan keinen sogenannten Lesbenfilm, der so wahr ist und so menschlich, dass ihm vorerst keiner das Wasser reichen wird. Paul schneidet nicht gut ab, das ist der einzige Mist bei der schönen Geschichte. Paul bleibt gewissermaßen übrig.
Kein Film hat mich zugleich so froh gemacht und gleichzeitig so verstört. Ich muss ihn mindestens noch zweimal sehen.
Dieser Film, »Na Putu«, der Bosnierin Jasmila Zbanic hat ein anderes Flair, wenn ich nur sagen könnte, worin es sich ausdrückt. Er ist frei von Nachahmungen, umgeht sie. Vielleicht sind Spuren zu sehen. Der Titel gibt keine Auskunft. Übersetzt heißt das »Auf dem Pfad«. Ohne Zweifel schlagen sich die Macher auf die Seite der jungen Stewardess. Sie hat einen Freund, er heißt Amar, wahrscheinlich Ingenieur. Eines Tages wird er gefeuert. Da haben wir schon einige tabulose, wie es heißt, feurige Szenen mit den beiden gesehen.
Ich habe ihren Vornamen vergessen, vielleicht weil sie so schön ist, ungeheuer da. Das Ganze spielt in Bosnien und heute. Die Schauspieler heißen Zrinka Cvitesic und Leon Luzev. So fremd, so schön. Niemand kann sich diese Namen auf Anhieb merken. Im Film heißt der nicht mehr ganz jungen Mann Amar. Fremd alles. Den Filmnamen der schönen jungen Frau konnte ich mir nicht merken, keiner passt für sie, so schön ist sie. Er beginnt wohl mit L. Ist Bosnien wirklich so weit weg, wie wir fühlen? Ja, ich denke. Ein großer Teil der Bevölkerung ist nicht muslimisch, der andere, gefühlte, schon sehr.
Folgende Story: Die junge Frau, die am Anfang so lange vor dem Spiegel steht oder aber ohne Spiegel ins Weite starrt, ist schön. Sie liebt ihren Freund Amar. Nichts kann sie trennen. Einschlägige forsche Szenen belegen es. Aber Amar wird von seinem Chef gefeuert. Da trifft das verliebte Paar beim Wenden auf ein anderes Auto. Die beiden Fahrer steigen aus, um den Streit so oder so handgreiflich auszutragen. Aber dann ist es der Freund, der lange nicht gesehene. Große Umarmung. Alte Freunde haben sich wiedergefunden. Das wird gefeiert. Sie sind oft zusammen. Langsam ändert Amar sein Aussehen. Lässt den Bart wachsen. Das junge Paar wird in des Freundes Zeltlager eingeladen. Es ist ein muslimisches Lager. Strenge Sitten. Strengere Bräuche. Es wird viel gesungen. Amar zieht zu dem alten Freund ins muslimische Lager. Holt seine Braut dahin. Sie ist erst vorsichtig entsetzt, dann außer sich. Amar dringt auf eine muslimische Heirat. Er ist unrettbar auf der anderen Seite.
Gewissermaßen durchkreuzt oder durchzogen wird die Geschichte von einer Nebenhandlung, die nicht ohne ist, obwohl sie die Einheit der Handlung mehr stört als beflügelt. Aber von Gewicht ist sie für die junge Frau durchaus. Sie kriegt keine Kinder. Das wird von der nun offen auftretenden Gegenseite angeführt. Aram erklärt, dass er sich unter Einfluss seines muslimischen Freundes zum Muslim gewandelt hat. Es gibt kein Zurück.
Auffallend ist, dass das neue Bosnien, wenn es stark und modern erscheinen soll, sich moderner Musik bedient, wie sie in Discotheken üblich ist. Das Auffällige scheint mir zu sein, dass die Discomusik und das entsprechende Tanzen gewissermaßen für Fortschritt steht. Halb untergegangen ist in diesem Fall, dass das Liebespaar mit einer Ärztin daran arbeitet, Kinder zu bekommen. Amar sieht das jetzt anders. Alles endet im Nichts. Die Liebe zerbricht. Die sich einst liebten, gehen ihrer Wege. Irgendwie ungerecht oder nicht ganz richtig scheint mir die gute Laune am Ende der Stewardess und ehemaligen Liebenden zu sein, die unser ganzes Interesse und Wohlwollen verdiente, was wir auch nicht zurücknehmen wollen. Aram ist endgültig zum Islam übergetreten. Sie fliegt wieder.
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