Der Honig-Bär
Berlinale-Abschluss: Die Natur draußen und unsere Menschennatur
»Bal« ist ein stiller Film, der sein eigenes Tempo behauptet: die Langsamkeit der Jahreszeiten. Ein Blick in eine Kindheitswelt, in der der Wald die Welt ist. Ein Ort des Blühens und Rauschens, der Vögel. Mit dem Vater an der Seite kann man das staunend erleben. Als der Vater im Wald umkommt, ändert sich alles: Der Wald ist nun auch ein bedrohlich dunkler Raum, er kann einen für immer verschlucken. Und dann doch die wundersame Wiederbefreundung mit dem Wald, der Heimat bleibt, aber nun wissender. Der Junge ist gewachsen, die gläubige Kindheit liegt mit dem Tod des Vaters hinter ihm, er sieht anders: Er wird er selbst.
Geschichten darüber, wie Menschen sich selber neu entdecken. Selten agierte eine Jury so einhellig anspruchsvoll, so streng dem eigenen hohen ästhetischen und menschlichen Maßstab folgend. Reine Kunstkonstruktionen wurden nicht bedacht (»Howl«), auch nicht – und das ist schade – der über das Politische hinausgehende, sehr eindrucksvolle Film des Iraners Rafi Pitts, »Zeit des Zorns«. Dessen Schluss spielt im Wald, in dem sich Jäger und Gejagter gleichermaßen verlaufen haben. Vermutlich entdeckte Herzog hier eine unzulässige Instrumentalisierung des Waldes als Kulisse für eine hochtourige Handlung.
Die Geschichte dieser Berlinale könnte man also unter die Überschrift stellen, wie der Honig zum Bären kam, zum goldenen zumal. Auch die weiteren Preise sind wohlüberlegte Fingerzeige. Den Silbernen Bären für die Beste Regie erhielt Roman Polanski, der nicht anwesend sein konnte, da er in der Schweiz unter Hausarrest steht. Ein Politthriller, in dem der dunkle Wald aus Lügen zwar unsichtbar bleibt, aber allgegenwärtig ist.
Der missratenste Film der Berlinale war ausgerechnet ein deutscher Beitrag, Oskar Roehlers »Jud Süß – Film ohne Gewissen«: ein Film ohne Intelligenz, die braucht, wer sich zu einem so komplexen Thema wie Kunst und Propaganda, Täter, Opfer und Mitläufer äußert. Hier war es purer Trash, dem man kein Wort glaubte.
Das nordeuropäische Kino ging leer aus, was zumindest bei Thomas Vinterbergs »Submarino« verwundert, jener Geschichte zweier Kinder einer Alkoholikerin, denen es auch später nie gelingt, ein Leben außerhalb von Drogen, Alkohol, Verwahrlosung zu führen. Das wurde für mein Verständnis zu leichtfertig von den meisten Kritikern als Ansammlung von Klischees abgetan, denn es besitzt doch einen eisigen Erfahrungskern. Da sind zwei wie Hänsel und Gretel im dunklen Wald ausgesetzt – und finden nie wieder heraus.
Auch bei dem japanischen Beitrag »Caterpillar« gingen die Meinungen weit auseinander. Die Jury war salomonisch genug, nicht den Film an sich zu würdigen, sondern die Hauptdarstellerin Shinobu Terajima. Für Japan ist dieser Film vermutlich ein Schock. Denn hier wird am Beispiel eines Offiziers der kaiserlichen Armee, der im Zweiten Weltkrieg beide Arme und beide Beine verlor und als lebender Rumpf zu seiner Frau zurückgebracht wird, die eigene Geschichte drastisch entheroisiert.
Insgesamt eine wohltuend altmodisch wirkende Berlinale, mit einem Jurypräsidenten, der auf selbstverständliche Weise das Kino und nicht die Show drum herum in den Mittelpunkt stellte. Über die von Anke Engelke schrill und flapsig (warum eigentlich?) moderierte Preisverleihung nur so viel: Die Berlinale braucht keine Comedy.
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