Das Städtische der Stadt und deren Gerechtigkeit
Eine Tagung in Hamburg suchte nach Wegen zu sozialem Neben- und Miteinander
Das Gesicht der Stadt verändert sich. Die Metropole ist kein Moloch mehr, sondern chic geworden. Barg sie über Jahrhunderte das – vielfach uneingelöste – Versprechen auf ein besseres Leben für die Neuankömmlinge in sich, braucht es inzwischen mehr und mehr den Nachweis eines besseren Lebens, um noch in der Stadt wohnen zu können. Sozial schwächere Schichten werden durch Gentrifizierungsprozesse aus den Innenstadtbereichen verdrängt.
Der Widerstand dagegen ist vielfältig: In Hamburg formierte sich das Bündnis »Stadt für alle«, das gegen vornehmlich ökonomisch motivierte Strategien der Stadtentwicklungspolitik auftritt und im Dezember bei einer Demo 3000 Menschen auf die Straße brachte.
Nach gängiger neoliberaler Interpretation konkurrieren Städte untereinander und mit ihrem Umland um produktiv-kreative, wachstumsfördernde Menschen. »Kreative Klasse« nennt sie der US-Ökonom Richard Florida, Guido Westerwelle würde wohl einfach von »Leistern« sprechen. »In den vergangenen zehn Jahren war Primat der Hamburger Stadtentwicklungspolitik, den Speckgürtel-Effekt umzukehren und Besserverdienende zurück in die Stadt zu locken«, erklärte der Geowissenschaftler Jürgen Oßenbrügge auf der Tagung der größten Hamburger Oppositionspartei. »Nahezu alle Städte stellen dies als ihre Handlungsmaxime in den Vordergrund, sie ist aber mit sozialen Folgekosten verbunden.« Die Mieten in Innenstadtvierteln erhöhen sich dramatisch, in Hamburg-St. Pauli um 28 Prozent in den vergangenen vier Jahren.
Eine Künstlerinitiative veröffentlichte im Oktober 2009 das Manifest »Not in our name, Marke Hamburg!« gegen die vorherrschende Standortpolitik. »Wenn eine Stadt beginnt, sich zu vermarkten, beginnt sie damit, sich vom Städtischen zu verabschieden«, kritisierte Mitverfasser Christoph Twickel im Streitgespräch mit dem Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter.
Twickels Initiative beruft sich auf den marxistischen Soziologen Henri Lefebvre, der die Stadt als »verdichtete Unterschiedlichkeit« definiert hatte und damit als das Gegenteil einer strikten räumlichen Trennung in arme und reiche Quartiere. »Dass bei Stadtentwicklung immer nur eine Aufwertung im ökonomischen Sinn das Ziel ist, kann ja nicht Sozialpolitik sein«, erklärte Twickel. Auch um das Städtische der Stadt zu bewahren, forderte er einen Mieterhöhungsstopp für Wohnungen des städtischen Unternehmens Saga-Gwg.
Von den gut 900 000 vorhandenen Wohneinheiten in der Hansestadt befinden sich 130 000 im Besitz der Stadt, weitere 130 000 gehören Genossenschaften. Ein Hebel zu einer sozial orientierten Wohnungspolitik ist in Hamburg also vorhanden, wie Universitätsprofessor Oßenbrügge mit Blick auf Wien betonte, das sogar 220 000 Wohnungen in Gemeindebauten aufweist: »Dort gibt es auch in der Innenstadt noch relativ günstige Mieten, ebenso ein Nebeneinander von Arm und Reich. Das wäre auch für die HafenCity denkbar gewesen.« In Europas größtem Neubaugebiet direkt an der Elbe stehen und entstehen Wohnungen allein für Gutbetuchte. Oberbaudirektor Walter widersprach: »Wir müssen auch die Chancen wahrnehmen, gut situierte Familien an die Stadt zu binden, damit nicht alle auf die grüne Wiese ziehen. Sonst wird der Druck auf Stadtteile wie St. Pauli und St. Georg noch viel größer.« Aber wie ließe sich eine gerechte(re) Stadt herstellen?
»Um Veränderung zu beurteilen, muss ich ein Zielbild definieren«, meinte der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Andy Grote. Er forderte deshalb Dialogplattformen für Stadtteile sowie eine früher einsetzende Bürgerbeteiligung, die in bisherigen Planfeststellungsverfahren oftmals eine Alibi-Funktion besäße und zu Frustration führe. Beteiligungsmöglichkeiten werden zudem hauptsächlich von Menschen in gesicherter ökonomischer Lage wahrgenommen.
Wer sich Gedanken ums nächste Mittagessen oder die nächste Reparatur machen muss, für den liegen Debatten über Stadt(teil)entwicklung oft fern. Oßenbrügge warnte: »In Beteiligungsverfahren werden spezifische Gruppen und Partikularinteressen befördert. Ein Mehr an Bürgerbeteiligung ist nicht unbedingt ein Mehr an Gerechtigkeit. Deshalb ist auch die Standhaftigkeit der Politik gegenüber solchen Partikularinteressen nötig.
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