Barriere gegen Ausverkauf?

Vor 20 Jahren: Die Geburt einer Treuhandanstalt

  • Jörg Roesler
  • Lesedauer: 4 Min.
Barriere gegen Ausverkauf?

Es ist nicht vergessen: Gegen die Treuhandanstalt ist Zeit ihrer Existenz (1990-1994) immer wieder protestiert und demonstriert worden – zumeist von den durch die Schließung ihrer Betriebe bedrohten Belegschaften »Die Treuhandpolitik war nicht das Optimale«, gab vor einiger Zeit selbst ein etablierter Wirtschaftshistoriker zu. Manchmal kommt von dieser Seite dann noch der Hinweis, die Privatisierungsanstalt sei ja bereits von der Modrow-Regierung gegründet worden, die damit an der eingetretenen Entwicklung nicht ganz unschuldig gewesen sein könne. Dies ist nur die halbe Wahrheit.

Der »Beschluss zur Gründung der Anstalt zur treuhändischen Verwaltung des Volkseigentums« ist in der Tat am 1. März 1990, einen halben Monat, bevor Hans Modrow sein Amt niederlegen musste, getroffen worden. Drei Tage vor den Wahlen vom 18. März trat das Statut in Kraft, die Treuhandanstalt konstituierte sich mit einer Zentrale in Berlin und 15 Außenstellen in den Bezirken. Eine zwangsläufige Privatisierung der Kombinate, Betriebe und Einrichtungen der DDR bedeutete dies nicht. Mit der Verleihung international anerkannter und angewandter juristischer Eigentumsformen sollte vielmehr erreicht werden, dass die Eigentumsrechte der DDR-Bürger mit dem im »Regierungskonzept zur Wirtschaftsreform in der DDR« Anfang Februar beschlossenen und vom Runden Tisch gutgeheißenen »Übergang von der Kommandowirtschaft zu einer sozial und ökologisch orientierten Marktwirtschaft« gesichert werden.

Die Umwandlung der Betriebe in Kapitalgesellschaften bedürfte der Stellungnahme der Belegschaften. Ihre Vertreter sollten Sitz und Stimme in den Aufsichtsräten erhalten – so wollte es das Gesetz. Das Regierungskonzept sah außer dem dominant bleibenden Volkseigentum eine Vielfalt weiterer Eigentumsformen vor, neben gesellschaftlichem Gemeineigentum auch genossenschaftliches und privates Eigentum. Ebenso konnten Ausländer – dazu zählte das Reformkonzept auch die Bundesbürger – Eigentum erwerben, in Form von Joint-Ventures.

Hinter der Idee, »den Mehrheitswillen der DDR-Bürger zu respektieren und den Rechtsanspruch auf das Eigentums des Volkes nicht zu veräußern«, standen auch die SPD und die meisten Bürgerbewegungen. Bereits wenige Tage nach dem Mauerfall hatten ihre Vertreter vor einem drohenden Ausverkauf des Volkseigentums gewarnt. Als »Barriere gegen den Ausverkauf« war die Treuhand im März 1990 um so wichtiger, als die Regierung in Bonn ihren Beitrag zur Stabilisierung der ostdeutschen Wirtschaft immer deutlicher davon abhängig machte, dass der Zufluss westdeutschen Kapitals nicht mehr nur in gemeinsamen Gründungen (Joint-Ventures) fließen dürfe, sondern es auch notwendig sei, DDR-Unternehmen vollständig an westdeutsche Investoren zu veräußern.

Der Schutz des Volkseigentums hatte gerade für die Bürgerbewegungen noch eine zweite Seite: Mit den rechtlichen Regelungen des Treuhandgesetzes sollte verhindert werden, dass sich Generaldirektoren und Betriebsleiter »ihre« Betriebe unter der Hand aneigneten, eine Entwicklung, die im osteuropäischen Transformationsprozess bald unter dem Namen »Nomenklatura-Privatisierung« bekannt wurde.

Mit der Treuhandgesetzgebung war durch die DDR-Regierung und den Runden Tisch, alles getan, was im Regierungskonzept einer Wirtschaftsreform bei etappenweiser Vereinigung mit dem westlichen Nachbarn im Verlaufe mehrerer Jahre getan werden konnte. »Wir mussten«, so Modrow später in einem ND-Interview, »einen Weg suchen, der den Bürgern der DDR bei der Vereinigung möglichst viel mitgibt. Das war unsere Aufgabe«.

Das weitere Schicksal der Treuhand hing vom Ergebnis der Volkskammerwahlen vom 18. März ab. Am 1. März, als die Treuhand gegründet wurde, hatte die Umfrage eines Meinungsforschungsinstituts in der DDR noch einen Wahlsieg der SPD (53 Prozent) prognostiziert. Die »Allianz für Deutschland« würden laut Umfrage 24 Prozent wählen. Das Wahlergebnis knapp drei Wochen später fiel allerdings deutlich anders aus. Für die »Allianz für Deutschland« stimmten 48 Prozent der Wähler. »Die Allianz«, schreibt Wolfgang Schäuble, damals Bundesinnenminister, in seinen Erinnerungen, »erlaubte der CDU (West) den Einsatz ihrer vollen politischen Kraft im Wahlkampf, und sie ermöglichte es, dass Helmut Kohl der eigentliche Wahlkämpfer und dann auch der eigentliche Wahlsieger wurde«.

Der »eigentliche Wahlsieger« bestimmte dann auch maßgeblich die »neuen Rechtsvorschriften zu Aufgaben und Arbeitsweise« der Treuhand im Koalitionsvertrag. Neben der Weiterführung der bereits eingeleiteten Umwidmung der VEB in Kapitalgesellschaften musste das Volkseigentum in das »Eigentum von Privaten« umgewandelt und durfte nur »in besonders begründeten Fällen« in kommunales Eigentum überführt werden. Die neu gewählte Volkskammer verabschiedete nach dritter Lesung mit der Koalitionsmehrheit ein neues Treuhand-Gesetz und machte damit diese zu einer Privatisierungsagentur. Bis Mitte 1994 fielen 80 Prozent des von der Treuhand verwalteten ostdeutschen Produktivvermögens an Westdeutsche, 14 Prozent an Ausländer und nur sechs Prozent an Ostdeutsche.

Als »Barriere gegen den Ausverkauf« hatte sich die Gründung der Treuhandanstalt nicht mehr erweisen können. Verweise auf die »Mitschuld« der Modrow-Regierung an den Folgen des überzogenen Privatisierungskurses der Treuhandanstalt, der seit Mitte 1990 wesentlich mit zum Desaster der ostdeutschen Industrie beitrugen, sind aber fehl am Platze.

Lesen Sie demnächst in dieser Serie: Der Runde Tisch löst sich auf.

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