Geschichte aus dem Gerichtssaal
Das Landesarchiv erinnert an »Leo Rosenthal. Ein Chronist der Weimarer Republik«
Die 57 Fotos von Leo Rosenthal im Landesarchiv Berlin sind nicht nur spannend, weil sie trotz sachlicher Ablichtung spektakulärer Gerichtsprozesse den Geist der Weimarer Republik spiegeln. Was alles dort verhandelt wurde, wer gegen wen klagte, aus welchem politischen Umfeld, wie die Urteile ausfielen, sich allmählich rechter Ungeist breit machte.
Die Geschichte der Fotos selbst ist ebenfalls ein Krimi. Seit Anfang der 1920er Jahre arbeitete Rosenthal – 1884 in einer jüdischen Familie zu Riga geboren, später Jurist in Moskau – als Gerichtsberichterstatter beim »Vorwärts« und anderen sozialdemokratischen Blättern. Bis 1933 fotografierte er, oft mit versteckter Kamera, in Moabiter Gerichtssälen und lieferte so die entsprechenden Bilder für eine ganze Ära der Rechtsprechung. Bei Machtergreifung der Nazis floh er auf Umwegen nach New York, fotografierte dort bis zu seinem Tod 1969 für die UNO.
Jene Berliner Gerichtsfotos überstanden alle Wirrungen der Emigration; 1968 kaufte sie die Landesbildstelle auf, wo sie bis 2001 lagerten. Nach Sichtung der rund 1500 Kontaktabzüge und Glasnegative erkannte man ab 2006 ihren dokumentarischen Wert und bereitete sie, ganz im Sinn ihres Schöpfers, für eine Ausstellung auf. »Leo Rosenthal. Ein Chronist der Weimarer Republik« ist zum 40. Todestag auch die Würdigung eines vergessenen Fotografen und seines historisch wertvollen Oeuvres.
Gleich eingangs wird die Brisanz der Bilder sichtbar. Rosenthal fixiert einen nervösen Adolf Hitler, wie er in einem Prozess um Rollkommandoüberfälle der NSDAP 1931 als Zeuge aussagen muss. Der das bewirkte, der junge Rechtsanwalt Hans Litten, wurde von den Nazis nach Dachau verschleppt, wo er sich das Leben nahm. Litten verteidigte auch einen Friedensaktivisten wegen einer »sittenwidrigen« Erzählung, das Foto zeigt beide mit Erich Mühsam als Gutachter.
SA-Trupps vor der »Vorwärts«-Redaktion, eine Demo der republiktreuen Eisernen Front mit anschließender Massenkundgebung im Lustgarten halten Zeitgeschichte fest. Von den dabei oder bei Gericht porträtierten SPD-Spitzenmitgliedern endeten viele im KZ. Auch kommunistische Politiker hatten sich vor dem Gesetz zu verantworten: der Verleger Willi Münzenberg, Greta Mildenberg wegen Aufrufs zum Streik, die »Rote Fahne«-Redakteuerin Eva Altmann wegen Äußerungen wider den SPD-Polizeipräsidenten. Gelassen hört Erich Weinert der eigenen »beschlagnahmten« Stimme vom Grammofon zu – im Prozess wegen Gotteslästerung. Auch Wilhelm Pieck taucht als Zeuge in einem Verfahren auf.
Außer legendären politischen Prozessen – etwa um gefälschte Geheimdokumente zwischen der Sowjetunion und den USA oder den Richter, der die Mörder Luxemburgs und Liebknechts freigesprochen hatte und später wegen Meineids selbst auf der Anklagebank landete – dokumentiert Rosenthal auch aufsehenerregende Kriminalverfahren jener Zeit. Bilanz-, Banknoten-, Kunstfälschung, Bestechung mit Rücktritt des verstrickten Oberbürgermeisters, der Mord eines Bankiers an seiner Gattin, einer Opernsängerin, der angebliche Missbrauch eines Vaters an seinen Töchtern oder der Tod durch einen »Heilmagnetiseur« werden verhandelt.
Prominente Zeugen treten dabei auf: Albert Einstein, Magnus Hirschfeld, der Neffe von Vincent van Gogh, die Aktricen Gitta Alpar, mit großer Geste, und – ganz konzentriert – Martha Eggert, weiterhin Zoodirektoren, Schießsachverständige, Mediziner, Psychologen. Mit Sympathie rückt Rosenthal einfache Menschen ins Bild: den Naturmenschen im Hippie-Outfit, kniend den Krüppel als Autodieb, ältliche Straßenmädchen, beklagt wegen Raubs. Hochnäsig selbstsicher dagegen posiert eine Freifrau.
Bis 20.3., Mo.-Fr. 10-17 Uhr, Landesarchiv, Eichborndamm 115, Reinickendorf, Telefon 90 26 40, www.landesarchiv-berlin.de
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