Bürger reden über Europa-Verdruss
Mehr Beteiligung an Entscheidungen gefordert / Lobby-Büro geplant
»Es ist nicht unsere Schuld, dass wir uns nicht für Europa interessieren.« Diese Aussage war öfter zu hören von den Teilnehmern einer Diskussionsrunde, die dieser Tage in Brüssel stattfand. Und es überraschte kaum, dass die Erfahrungen der deutschen Teilnehmer ähnlich waren wie jene der Letten, Bulgaren und Ungarn, die im Herbst schon einmal, jeweils für sich in ihren Heimatländern, die gleiche Frage debattiert hatten: Sollen Bürger bei EU-Entscheidungen mitsprechen? Und wenn ja: Bei welchen Entscheidungsprozessen wäre es sinnvoll, die Bürger einzubeziehen? Was darf auf keinen Fall passieren?
Schnell kam die Brüsseler Runde auf den Mangel an Informationen über Europa zu sprechen. Dabei sind sie reichlich vorhanden. Joana Vieira da Silva als Vertreterin der Abteilung »Europa für Bürger« der EU-Kommission verwies auf Internetseiten, Broschüren, zahlreiche Angebote für die Bürger. »Mich interessiert dieser ganze Stoß von Broschüren aber nicht«, sagte die Berliner Studentin Jennifer Taylor. Und wenn sie etwas auf den Internetseiten der EU suche, sei da alles so unübersichtlich, dass man nach mehreren Minuten aufgebe. »Ich habe keine Lust, ständig von einem Text zum anderen verwiesen zu werden und die Hälfte davon sowieso nicht zu verstehen, weil die Sprache so kompliziert ist«, klagte auch Gitta Toth aus Budapest.
Alle Teilnehmer waren sich einig, dass Interesse für die EU durchaus geweckt werden könne. Die meisten hatten das selbst erlebt. Skeptisch seien sie gewesen, als sie sich zu den ersten Diskussionsrunden im Herbst aufgemacht hätten. Dann aber habe ihnen das Debattieren über die EU Spaß gemacht. Diesen Elan gelte es, in die Politik hineinzutragen. Man möchte gefragt oder zumindest informiert werden, was bei der EU abläuft – und zwar nicht erst am Ende, wenn alles schon entschieden ist, sondern am Anfang der Diskussionen. Als größte Enttäuschung bezeichneten die Teilnehmer die Situation, wenn ihre Fragen an die EU nicht beantwortet würden.
Die Debatten in Lettland, Bulgarien, Ungarn und Deutschland sowie das Brüsseler Abschlusstreffen sind Teil eines Projekts der EU-Kommission, die ergründen möchte, wie man Bürger stärker am Geschehen in der EU teilnehmen lassen kann. Denn bei der EU macht man sich durchaus Sorgen über den Verdruss vieler Bürger, der sich beim Thema Europa schnell einstellt.
Die Ergebnisse sollen deshalb einfließen in Verbesserungen des Verhältnisses zwischen der EU und den Menschen. Wie das aussehen wird, ist noch nicht klar. Konkrete Vorstellungen hat dagegen der europäische Bürgerverein ECAS, der mit Geld der EU-Kommission und des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Debatten in den vier Ländern organisiert hatte. Er möchte im Brüsseler EU-Viertel ein Bürgerhaus eröffnen, das eine Art Lobby-Büro für ganz normale Menschen sein soll. Es wäre die erste derartige Einrichtung in Brüssel.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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