Vancouver vermisst die Welt
Nach Riesenparty Olympia werden Paralympics wohl eher ein Familienfest
Man muss derzeit in Vancouver schon sehr genau hinsehen, um Vorboten für die zweiten Winterspiele zu finden. Denn vor allem fällt einem auf, was nicht oder nicht mehr da ist. Die Stadt füllt sich nicht spürbar mit Touristen, und neu gebaut wird auch nichts.
Ganz im Gegenteil: Die internationalen Pavillons sind verschwunden, die Maskottchen bereits im »Final sale«, dem Schlussverkauf, und selbst die noch vorhandenen Olympia-Banner an den Straßenlaternen wirken nur noch wie Überbleibsel. Alles geht wieder seinen gewohnten Gang an der kanadischen Westküste. »Ich vermisse die Welt«, sagt eine Frau in einem Café, das vor zwei Wochen mitten im Herzen der Fanmeile lag. Kurz vor Beginn der Paralympics sind aber höchstens ein Viertel der Tische besetzt.
Und das wird sich wohl auch nicht ändern, wenn heute erneut die Olympische Flamme entzündet wird. Die Verkehrsbetriebe haben keine Stauwarnung ausgegeben. Die Paralympics sind in jeder Hinsicht kleiner und weniger spürbar in Vancouver als ihr Vorgänger im Februar. Allerdings wird das in den nächsten Jahren wohl allen Veranstaltungen hier so gehen.
Am Robson Square kündigt sich dann doch ein größeres Ereignis an: eine Warteschlange. Etwa 40 Leute stehen neben der Freilufteisbahn nach Tickets für die paralympischen Wettbewerbe an. »Vielleicht hätte man beide Sportereignisse gleichzeitig machen sollen«, meint Kelly, die drei Karten für ein Halbfinale im Sledge-Eishockey vorbestellt hat. Vor allem in dieser Sportart rechnet Kanada erneut mit Gold nach dem Sieg in Turin 2006. Die Einheimische will das Spiel mit ihren beiden Kindern anschauen, vor allem mit ihrem Sohn, der zwar nicht behindert ist, »aber auch so seine Probleme hat«, wie sie erzählt. »Wenn er sieht, was diese Menschen können, könnte das ein Ansporn für ihn sein.«
Wie sich die Stimmung in den nächsten Tagen entwickeln wird, ob Kanada noch einmal eine Welle des Patriotismus erfassen wird, kann niemand voraussagen. Immerhin hatte vor Olympia auch kaum jemand mit der dann ausgebrochenen Euphorie gerechnet. Kelly hofft, dass es zumindest ein bisschen wieder so wird.
Wenige Meter weiter, bei der Bekanntgabe des kanadischen Flaggenträgers für die Eröffnungszeremonie, versucht der Premier der Provinz British Columbia, Gordon Campbell, keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass ihm die Paralympics genauso wichtig sind wie Olympia. »Macht uns stolz«, ruft er dem kanadischen Team zu und beendet seine Rede mit mehrmaligem »Go Canada Go!«. Und der ehemalige Bürgermeister von Vancouver, Sam Sullivan, der selbst im Rollstuhl sitzt, hat scherzhaft zu Protesten aufgefordert. Aus Gleichberechtigung.
Die Superlative gehen mit diesen Paralympischen Spielen weiter, versprechen die Organisatoren. Sie sind die ersten überhaupt in Kanada, während Olympia bereits zum vierten Mal im Land stattgefunden hat. Zum ersten Mal sind auch die Sponsoren bei der Stange geblieben. Im offiziellen Olympia-Kaufhaus werden Anstecker von Coca Cola mit einem Rollstuhlsportler verkauft. Die Fernsehübertragungen werden so umfassend wie nie zuvor. Schon im Vorfeld wurde besonders in den regionalen Medien viel berichtet.
War Olympia für »die Welt«, könnte jetzt eher die lokale Bevölkerung zum Zuge kommen. »Die Tickets sind nicht so teuer«, sagt Kelly, die für ihre drei Karten weniger als 100 Dollar ausgeben musste. Die meisten kosten zwischen 15 und 30 Dollar. Die Eishockeyspiele des kanadischen Teams und das Finale sind natürlich längst ausverkauft.
Zudem wird es eine Reihe der kostenlosen Attraktionen noch einmal geben, für die man sich vor zwei Wochen stundenlang anstellen musste. So öffnen einige kanadische Pavillons noch einmal, die Art Galerie ist wieder umsonst, die Medaillen der Olympischen und der Paralympischen Spiele werden in der Zentralbibliothek zu sehen sein. Und der absolute Publikumsrenner – die Zip Line – wird wieder kreischende Menschen über den Robson Square fliegen lassen. »Es wird bestimmt einige Schlangen geben, wenn auch kürzere«, vermutet die Frau in der Touristeninformation. »Aber diesmal sind es eher die Vancouverites, die hier warten.«
Eines werden die Paralympischen Spiele Olympia mit Sicherheit voraus haben: Winterwetter. Die Berghänge rund um Vancouver sind endlich doch noch mit frischem Schnee bestäubt.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!