In Berlin entlädt sich der Frust

Nach dem 1:2 gegen Nürnberg stürmen Hertha-Fans den Platz und randalieren

  • Mark Wolter
  • Lesedauer: 3 Min.

Unter Polizeischutz betraten die Spieler von Hertha BSC gestern den Trainingsplatz auf dem Berliner Olympiagelände. Coach Friedhelm Funkel hatte zum lockeren Lauftraining gerufen, doch von Lockerheit war keine Spur. Auch einen Tag nach dem Abstiegsduell gegen den 1. FC Nürnberg saß der Schock bei Herthas Spielern und Verantwortlichen noch tief – nicht nur wegen der 1:2-Niederlage im selbst erklärten »Endspiel« um den Klassenverbleib, mehr noch wegen der Ausschreitungen im Berliner Olympiastadion unmittelbar nach dem Abpfiff.

Rund 150 der aufgebrachten Fans in der Ostkurve hatten Plexiglaswände und den Schutzgraben überwunden und stürmten teilweise vermummt und mit Fahnenstangen bewaffnet in Richtung der Reservebänke. Nürnbergs Spieler, die gerade auf der anderen Seite mit ihren Fans zum Jubel ansetzen wollten, flüchteten panikartig in den Kabinentrakt und riefen »Türen zu, Türen zu« oder »Bringt Euch in Sicherheit!« Auf der anderen Seite des Spaliers von Ordern wüteten die Randalierer und zerstörten Spielerbänke und Werbebanden. »Ich habe die Menge kommen sehen und versucht, meine Haut zu retten«, sagte Nürnbergs Kapitän Andreas Wolf. »Du musstest Angst haben, dass sie Dir die Rübe einhauen.«

Erst Einsatzkräfte der Polizei konnten die »Idioten«, wie sie Gästetrainer Dieter Hecking später bezeichnete, zurückdrängen. Die Randalierer flüchteten zurück in die Kurve, die Polizei vermeldete am Abend vier leicht verletzte Beamte und 30 Festgenommene, die nach Aufnahme der Personalien allerdings wieder laufen gelassen wurden.

»Hertha verurteilt die Randale auf das Allerschärfste«, sagte Manager Michael Preetz. »Wir werden nun mit der Polizei genau prüfen, wie es dazu kommen konnte und mit aller Härte gegen die Täter vorgehen.« Dieter Hecking forderte Unterstützung vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) und den staatlichen Institutionen. »Für die Vereine ist es schwer, Einzelne, die es nicht verstehen wollen, in den Griff zu bekommen«, sagte Nürnbergs Trainer. Hertha BSC erwartet dennoch eine empfindliche Strafe.

Mindestens genauso große Sorgen bereitete den Berliner Verantwortlichen gestern die sportliche Situation. »Ich werde mich jetzt nicht mehr sträuben, vom Abstieg zu reden«, sagte Präsident Werner Gegenbauer und Manager Preetz, der beim Abpfiff der Partie mit Tränen zu kämpfen hatte, kündigte an, »die Planungen für die 2. Liga nun voranzubringen«. Die 17. Saisonniederlage hat den Berlinern die letzten Hoffnungen auf den Klassenerhalt genommen. »Das ist ganz bitter, damit müssen wir jetzt erstmal umgehen«, sagte Trainer Funkel, der auch im zehnten Heimspiel unter seiner Regie keinen Erfolg feiern konnte.

Da tröstete auch nicht, dass seine Spieler die beste Leistung seit Langem gezeigt hatten. »Wir konnten Hertha in der ersten Hälfte nicht stoppen«, gab Hecking zu. »Das hätte ein Debakel geben können.« Da aber neben einem Pfosten- und einem Lattentreffer Adrian Ramos und Raffael weitere hochkarätige Chancen vergaben, blieb der Treffer von Theofanis Gekas der einzige von vielen möglichen. »Das hat auch mit Unvermögen zu tun«, klagte Funkel.

Den Nürnbergern reichte in Hälfte zwei ein Kopfball von Bunjaku und ein Konter, den Angelos Charisteas in der Nachspielzeit abschloss. »Für Hertha zählte nur der Sieg, deswegen haben wir noch etwas glücklich die Chance bekommen«, meinte Hecking. Die Berliner hingegen können sich schon auf einen Neuanfang konzentrieren, auf die 2. Liga und darauf, wie man die künftigen, brisanten regionalen Duelle sicher über die Bühne bekommt.

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