Sex, Gymnastik und Vatermord

Constanza Macras’ »Oedipus Rex« mangelt es an szenischer Fantasie

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Bedrohlich schwebt es von Beginn an über der Szene im Hebbel am Ufer, das unwohnlich gewordene Mobiliar einer aus den Fugen geratenen Gemeinschaft: Stühle, Tische, Kommoden, Betten, bunte Luftballons, ein Spielzeuglamm, ein ungenutztes Festkleid. So stattet der Japaner Chiharu Shiota »Oedipus Rex« in der Bühnenversion aus, die kürzlich am Festspielhaus Hellerau Premiere hatte. Uraufgeführt wurde Igor Strawinskys zweiaktiges Opern-Oratorium schon 1927 konzertant in Paris, szenisch dann 1928 in Wien und Berlin. Peter Sellars inszenierte es 1994 in Salzburg, mit Jessye Norman als Iokaste, Robert Wilson 1996 in Paris. Nun das Berlin-Gastspiel jener von Constanza Macras inszenierten und choreografierten Dresdner Version.

Transparent hinter Gaze platziert sie das Orchester, die Junge Philharmonie Brandenburg unter Max Renne; zu beiden Seiten davon stehen die Herren des von Jörg Genslein einstudierten Dresdner Kammerchors, und dort bleiben sie auch. In Nebel und ohne Musik leitet Macras ihre Fassung ein: mit einem Solo der Sphinx voll innerem Aufruhr – stürzend, spreizend, mit Handstand, immenser Körperrenkung, Kampfsport. Das beeindruckt. Ein Mann stoppt sie, ein zweiter fängt an, die Geschichte zu berichten, vom Sphinx-Besieger Oedipus, Thebens neuem König, Gatten der Iokaste. Die Stadt von der Pest zu befreien, schickt der König Kreon zum Delphischen Orakel.

Erotogymnastisch pflegen Oedipus und Iokaste der Liebe – er mit Rock, sie im roten Kleid und mit Pumps. Im Husten, der den Chor und die eindrängenden Tänzer erfasst, liegt hier Thebens Übel. Wüste Hechter, wilde Überschläge, Stürze aus dem Hochsprung treiben die Tänzer zu gefährlichen Höchstleistungen. Als Thebens Chaos abebbt, setzt die Musik ein. Transporte und Zuwürfe von Körpern kennzeichnen die Situation in der Stadt. Oedipus hält auf dem Schoß eine Frau, die als seine Marionette den Text des Sängers mitplappert. Statisch agieren die Gesangsdarsteller, separat und schweißtreibend die Tänzer.

Die Szene splittert sich in akrobatische Einzelaktionen auf, wo das klammernde Bild nötig wäre. Modisch muss ein Nackter auftauchen, Teiresias unter der Sonnenbrille blinzeln, Oedipus mit den roten Pumps der Gattin-Mutter hantieren. Paare üben sich in Sexposen, Frauen heben Männer im Schritt, ihre durchgreifende Hand zum Penis formend, oder gebären Männer.

Freilich geht es in Sophokles’ literarischer Vorlage, und auf die bezieht sich Jean Cocteaus und Strawinskys Opernlibretto, auch um Sex – blutschänderischen zumal. Mehr aber wohl doch um die tragische Verkettung göttergewollter Umstände. Macras lässt einzig physische Abreaktion zu, um der dramatischen Tektonik der Musik gegenzusteuern, wo das klare, erfinderische Tableau genügt hätte. Einmal nur kommt auch szenisch Dramatik auf: Wenn Oedipus und Iokaste sich um das Bett herum jagen, auf dem sich ihre Tänzer-Doubles mit Kreon, vielleicht auch als Vision Laios, in wirrem Taumel verlieren, Iokaste dann den besudelten Pfuhl reinigt.

Vier Sprecher bietet Macras auf, einer davon ein jugendlicher Hip-Hopper, der selbst im Einhandstandsprung noch erzählt, der letzte ein kleiner Junge. Bis dahin hat Oedipus anhand von Fotos seine Schuld erkannt, ist taschenlampenerhellt worden, muss die Stadt verlassen, zu plattem Bürgergeheul. In letzter Wut steigert sich wirbelnd der Tanz, ehe Oedipus hinter dem Spiegel der Kommode verschwindet, sich die Requisiten erquetschend auf den Boden senken. Wie zu erwarten war. Respekt den acht mutigen Tänzern.

Nochmals 16.3., 19.30 Uhr, HAU 1, Stresemannstr. 29, Kreuzberg, Kartentel.: 25 90 04 27, weitere Infos unter www.hebbel-am-ufer.de

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