Früchte des Zorns
»Über Wut« – Ausstellung, Film, Diskurs im Haus der Kulturen der Welt
Sie kann schäumen, überkochen, sich entladen, explodieren, ausbrechen oder blind zuschlagen: Wut bricht sich zumeist im unkontrollierten Affekt Bahn, oftmals mit verheerenden Auswirkungen. Sie führt zu Widerstand, hinterlässt Täter und Opfer, Schuld und Sühne. Ein weit gefasstes Thema – im politischen, religiösen aber auch psychoanalytischen und soziologischen Kontext, das im Zentrum des Frühjahrsprogramms im Haus der Kulturen der Welt steht.
Das Gesamtprogramm umfasst Filme, Lesungen, Diskussionen, Führungen und Performances und kulminiert zum Ende in einem »Wut-Gipfel«. Die Kunstausstellung »Über Wut« flankiert die zahlreichen Begegnungen und Debatten quasi wie ein Subtext. Eine von der Architektengruppe ifau (institut für angewandte urbanistik) integrierte quadratische »Diskursarena« erlaubt Veranstaltungen inmitten der Exponate von acht internationalen Künstlern.
Während im Gesamtprogramm der Frage nachgespürt wird, ob es angesichts gegenwärtiger ökonomischer und politischer Krisen und Ausnahmezustände weltweit eine neue »Kultur der Wut« gibt, richtet Valerie Smith, Kuratorin der Ausstellung, ihr Augenmerk auf den »psychischen und physischen Zustand, der nach einem Wutausbruch eintritt. Ob dieser tatsächlich wie behauptet »oft dramatischer, gewalttätiger und verunsichernder« ist als der Ausbruch selbst, bleibt allerdings fragwürdig.
Auf jeden Fall ahnt man, dass es in der thematischen Schau kein Blut, keine nackte Gewalt, keine direkten Kampfszenen oder offene Brutalität zu sehen gibt. Ob die Zuschauer vielleicht gerade in Erwartung solcher Schock-Bilder so zahlreich zur Eröffnung erschienen sind, ist eine berechtigte wenn auch hämische Frage. Ein wenig Blut floss dennoch an dem Abend, und zwar in der Performance »Looting« (Plünderung) von Regina José Galindo. Die aus Guatemala stammende Dichterin ließ sich direkt vor dem Publikum in einer improvisierten Zahnarztpraxis ihr Zahngold von einem Fachmann entfernen. Kunst und politische Agitation gehen bei ihr Hand in Hand und ihre Anklage – symbolisiert in der Ohnmacht der »Patientin« – richtet sich gegen koloniale Ausbeutung und die Brutalität des »Dritten Reiches«.
Die Installation »The Classroom – Closed Work« (Das Klassenzimmer) des bekannten 1990 verstorbenen polnischen Theatermachers Tadeusz Kantor nimmt Bezug auf sein radikales Bühnenstück »Die tote Klasse« von 1975. Als Lehrer konfrontierte er hier seine inzwischen gestorbenen Mitschüler mit Gliederpuppen, die deren noch junge Ebenbilder darstellten. Hier geht es also um Wut aufgrund in der Kindheit erlittener Indoktrination, die umschlägt in Anklage. Der Künstler und Aktivist Jimmie Durham entlarvt hingegen falsche Mythen seines amerikanischen Heimatlandes. In der Installation »Building a Nation« deckt er mittels historischer Zitate Vorurteile und Klischees des »Weißen« Nordamerika gegenüber indigenen Völkern auf.
Insgesamt belegt die Ausstellung, dass Wut und ihre Auswirkungen viele Gesichter haben können und lädt dazu ein, sich mit diesem Phänomen intensiver zu befassen.
Bis 9. Mai, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten, Do.-Mo. 11-19 Uhr, mittwochs bis 22 Uhr, Eintritt 5 / 3 Euro, (Mo. frei), Informationen zum Programm und alle Sonderveranstaltungen auf www.hkw.de
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