Kein rotes Licht für Dickmacher?

Karin Binder (MdB) über die Ampelkennzeichnung für Lebensmittel

  • Lesedauer: 3 Min.
Karin Binder (geb. 1957) ist Verbraucherschutzexpertin der Linksfraktion im Bundestag
Karin Binder (geb. 1957) ist Verbraucherschutzexpertin der Linksfraktion im Bundestag

ND: Am Dienstag hat der EU-Ausschuss entschieden, die Ampelkennzeichnung für Inhaltsstoffe in Lebensmitteln nicht zur Pflicht zu machen. Die LINKE hat sich immer für die Ampel ausgesprochen. Wie groß ist die Enttäuschung?
Binder: Ich sehe es eher optimistisch, weil ich befürchtet hatte, dass die Entscheidung viel schlechter ausfällt. Das knappe Ergebnis ist Motivation, am Thema dranzubleiben. Ich glaube, inzwischen ist auch in konservativen Kreisen klar, was das Thema für eine Bedeutung hat und dass man sich vielleicht neu orientieren muss.

Erhoffen Sie sich von der endgültigen Entscheidung, die im Europaparlament im Mai ansteht, eine Trendwende hin zur Ampel?
Ich bin nicht sicher, ob eine Trendwende zu erwarten ist. Aber allein für Deutschland hat die Ausschussentscheidung eine positive Bedeutung, weil zumindest kein Beschluss zu einer Vollharmonisierung getroffen worden ist – die Ausgestaltung bleibt also den Ländern überlassen. Und da kann von den Verbänden und Interessenvertretungen, die die Ampel wollen, noch Druck aufgebaut werden. Auch volkswirtschaftlich hätte die Ampel ja positive Wirkung: Kosten für die Behandlung ernährungsbedingter Krankheiten könnten gespart werden. Dazu müssen die Menschen aber in die Lage versetzt werden, sich über gute Ernährung informieren zu können.

Die EU will ja Informationen über Inhaltsstoffe zur Pflicht machen, nur nicht in Ampelform. Ist dem Verbraucherschutz damit nicht Genüge getan?
Nein. Es gibt viele Kinder, die einkaufen gehen. Es gibt Senioren, Migranten, Menschen mit Sehbehinderung. Diese kleingeschriebene Kennzeichnung, die Werte enthält, mit denen viele Leute nichts anfangen können, ist nicht das, was Menschen brauchen, die sich gesund ernähren wollen, aber vielleicht nicht über das Wissen verfügen, so was zu interpretieren. Dazu kommt, dass Portionsgrößen angegeben sind, die oft nicht der Ernährungsrealität entsprechen.

Was sind dagegen die Vorteile der Ampel?
Dass alles auf den ersten Blick erkennbar ist. Man kann aufgrund der farblichen Unterlegung erkennen, welches Produkt man vielleicht nicht so oft essen sollte, weil es viel Zucker, Salz oder Fett enthält. Es geht vor allem um Vergleichbarkeit – wenn die eine Pizza zwei rote Felder hat und die andere nur gelbe, kann man schnell erkennen, welche gesünder ist.

Die Lebensmittelindustrie argumentiert, die Ampel halte die Verbraucher vom Kauf von Lebensmitteln mit »roten« Inhaltsstoffen ab. Würde bei einer Ampel der reihenweise Bankrott von Bäckereien drohen, weil Brot relativ viel Salz enthält und dafür einen roten Punkt bekommen könnte?
Solche Argumente sind an den Haaren herbeigezogen. Es ist klar, dass wir Salz, Fett und Zucker zum Leben brauchen. Aber es ist eben alles eine Frage der Menge. Brot ist ein wichtiger Bestandteil unserer Ernährung. Niemand wird darauf verzichten, Brot zu kaufen, genauso wenig auf Schokolade oder Cola. Aber man lernt, bewusster damit umzugehen.

Man darf auch nicht einfach die Ampel einführen und die Menschen damit allein lassen. Es braucht Ernährungsbildung, die muss in den Schulen und Kindertagesstätten ansetzen. Die Ernährungssituation hat sich stark verändert, auch durch die moderne Arbeitswelt. Es wird weniger gekocht, Kinder lernen nicht selbstverständlich, mit Lebensmitteln umzugehen. Früher wussten die Leute, was im Essen enthalten ist. Für die vielen Fertigprodukte braucht man heute aber eine eindeutige Kennzeichnung, was drin ist.

Fragen: Grit Gernhardt

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