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Iris Gusner und Helke Sander – Filmregisseurinnen erzählen sich ihr Leben
Zwei Filmregisseurinnen, die eine aus dem Osten, die andere aus dem Westen, lassen ihr Leben Revue passieren. Iris Gusner, geboren 1941 in Trautenau (heute Trutnov/Tschechien), und Helke Sander, geboren 1937 in Berlin, blicken in Gesprächen und biografischen Texten zurück. Dabei stehen ihre Reminiszenzen keineswegs wie erratische Blöcke nebeneinander, sondern umkreisen, berühren und durchdringen sich. Erstaunlich vieles ist ähnlich verlaufen, manches auch ganz anders, und auf jeder Seite des Buches wird die Neugier erkennbar, diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu fixieren, familiäre und gesellschaftliche Bedingungen zu durchleuchten. Was bedeutete es, in Krieg und Nachkrieg aufzuwachsen? Welche Menschen waren prägend für die eigene Vita? Was brachte es mit sich, als Frau den Beruf einer Regisseurin gewählt zu haben? Und was hieß es, die Kinder ohne die Väter großzuziehen? Natürlich sind es emanzipatorische Fragen, die den Text in gebotenem Ernst und doch auf angenehm spielerische Weise durchziehen, teils mit ironischem Augenzwinkern, etwa wenn Helke Sander über Erfahrungen mit West-Berliner Wohngemeinschaften reflektiert. So geht das Buch über Privates weit hinaus, entfaltet sich von der ersten Zeile an zu einem nachdenklichen, episodischen, bisweilen analytischen deutsch-deutschen Gesellschaftsbild.
Was ist zu lesen? Zum Beispiel von Lehr- und ersten Arbeitsjahren in Finnland, wohin Helke Sander in den 1950er Jahren kam und wo sie Männer kennen lernte wie ihren Schwiegervater, der »seine Hemden selbst bügelte, sein Bett machte und wie alle seine Kartoffeln pellte: eine solche Möglichkeit Mann war mir in Deutschland noch nie begegnet«. Iris Gusner studierte in Moskau und empfand die DDR nach ihrer Rückkehr als erstaunlich klein und eng. Helke Sander beschreibt ihre vergeblichen Versuche, bestimmte Stoffe in Sendern unterzubringen: die Themen, etwa ein »Abtreibungskrimi«, waren gar zu »gewagt«. Iris Gusner lässt an den Entstehungsprozessen aller ihrer DEFA-Filme teilhaben, was in jedem Fall Lust macht, diese Arbeiten nach Jahrzehnten wieder zu sehen: Im Fall der »Taube auf dem Dach« (1973), ihrem Debüt, das wegen einer »falschen Darstellung der Arbeiterklasse« verboten worden war, wird dieser Wunsch bald in Erfüllung gehen: Die DEFA-Stiftung hat das Negativ restauriert und plant im Frühsommer eine Premiere.
Zu den schönsten Kapiteln des Buches gehören die eingefügten Porträts: unter anderem von Doris Lessing, Peter Weiss, dem »Neulehrer« Herrn Kaiser und Michail Romm. Hoch spannend die Entstehungsgeschichte des Films »BeFreier und Befreite« (1991), in dem sich Helke Sander zum ersten Mal dem tabuisierten Thema der Vergewaltigungen durch russische Soldaten zuwandte. Und von Iris Gusner ist zu erfahren, warum sie erst im August 1989 ihre Koffer packte und eine genehmigte Westreise zur Übersiedlung in die Bundesrepublik nutzte. Dies und manches andere, über die Gründung der ersten Kinderläden und der Zeitschrift »Frauen und Film«, das »Kollektiv« DEFA, die bis heute anhaltende Abneigung Helke Sanders gegenüber der »Legende von Paul und Paula« und die Lust beider Frauen, immer Zeitzeuginnen sein zu wollen, ist in diesem Buch nachzulesen. Eine vergnügliche, erhellende Lektüre – übrigens auch für Männer.
Iris Gusner/Helke Sander: Fantasie und Arbeit. Biografische Zwiesprache. Schüren Verlag Marburg, 292 S., 19,90 €.
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