Weg aus der Abhängigkeit
Milliardenprogramm soll Boliviens Wirtschaft auf eigene Füße stellen
Kapitalkräftige brasilianische Multis wie die staatliche Erdölfirma Petrobras, der Treibstoffhersteller Braskem, das Elektrounternehmen Eletrobras, der Bergbaugigant Vale und auch Baufirmen wollen Geld in die bolivianische Infrastruktur und die Industrialisierung von Gas, Öl und Mineralien pumpen, gaben Boliviens Vizepräsident Álvaro García Linera und Brasiliens Gesandter Marco Aurelio García bei der Verabschiedung des vom Volumen her einmaligen Abkommens bekannt. »Die Idee ist, dass Brasilien trotz seiner Gasfunde von Presal im Atlantik weiter Gas aus Bolivien importiert«, so Aurelio.
»Uns interessieren keine neuen Patiños, die große Vermögen in Bolivien machen ohne Jobs zu schaffen, den Reichtum außer Landes bringen und die Wirtschaft nicht diversifizieren«, versprach García. Zinnbaron Simon Patiño war Mitte des letzten Jahrhunderts einer der reichsten Männer der Welt, Bolivien aber blieb arm. Braskem könnte dringend nötige Treibstoffraffinerien bauen, Eletrobras Staudämme zur Stromgewinnung, Vale zockt mit im Poker um die größten Lithiumvorräte der Welt.
Boliviens Dilemma – die Exportabhängigkeit – zeigen jüngste Zahlen: Zwar stiegen die Einnahmen aus dem Außenhandel im Januar und Februar im Vergleich zu 2009 um 20 Prozent von 775 Millionen auf 905 Millionen US-Dollar, so das »Nationale Institut für Statistik« (INE). Im ärmsten Land Südamerikas wiegt das strukturelle Erbe aus spanischer Kolonialzeit aber weiter schwer. Wichtigster Sektor ist der Bergbau. Mit 67 Prozent Zuwachs bleibt der Rohstoffabbau Zugpferd Nummer eins. Allein der Verkauf von Zink schnellte um 110 Prozent nach oben, gefolgt von Silber (plus 33 Prozent).
Die Linksregierung in La Paz ist sich des Problems bewusst. »Ich habe meine Minister gefragt, wenn es ein Erdbeben oder andere Naturkatastrophen gibt und die Förder- und Transportanlagen in Tarija und Santa Cruz zerstört werden, geht unserer Wirtschaft dann nicht zugrunde?«, dachte Präsident Evo Morales zuletzt über die Anfälligkeit der Wirtschaft nach. »Bolivien muss seine Produktion diversifizieren, um nicht ausschließlich vom Gas- und Mineralienexport abzuhängen«, so der Staatschef anlässlich der Ankündigung eines Milliardeninvestitionsplans vor Ostern. Von 2010 bis 2015 sollen 32 Milliarden US-Dollar in die Entwicklung gepumpt werden.
Der »Plan Patria«, der das jährliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 16,418 Millionen US-Dollar (Stand 2009) verdoppeln wird, soll Bodenschätze vor Ort industrialisieren, rund 50 000 Jobs schaffen und den Zugang zu Wasser, Strom und Telekommunikation im ganzen Land ermöglichen. Das Geld soll teils aus eigenen Reserven, teils durch Kredite etwa der »Interamerikanischen Entwicklungsbank« (BID) beschafft werden. Die Morales-Administration sieht sich in ihrer Wirtschaftspolitik bestärkt, im Krisenjahr 2009 verzeichnete Bolivien als einzige Nation Südamerikas Wachstumsraten.
Mit rund 25 Milliarden US-Dollar soll der Mammutanteil in den Aufbau einer verarbeitenden Industrie investiert werden. Das geflügelte Sprichwort, Bolivien sei ein Bettler auf einem goldenen Stuhl, soll Vergangenheit werden. Möglich wäre es: Immerhin verfügt Bolivien über die zweitgrößten Gasvorkommen Südamerikas, die weltweit größte Eisenerzmine; am Salzsee »Salar de Uyuni« liegt der Lithiumschatz.
Um die Ziele bezahlen zu können, pumpt die staatliche Energiefirma YPFB heute mehr Erdgas denn je in die Nachbarländer. Bei einem Besuch von Argentiniens Präsidentin Christina Kirchner wurde eine Erhöhung der Gaslieferungen von 7,7 Millionen auf 13 Millionen Kubikmeter täglich bis 2013 vereinbart. Dann soll eine neue Pipeline vom Megagasfeld Margarita – zu 37,5 Prozent vom spanischen Multi Repsol ausgebeutet – gen Rio de la Plata fertig sein. An Brasilien liefert Bolivien bereits 30 Millionen Kubikmeter pro Tag.
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