Verklammert

Neue und Alte Musik im »zeitfenster«

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach der süffigen Orgie in D-Dur mit Pauken Trompeten – Eröffnungskonzert – ging es etwas diffiziler weiter mit der Berliner Biennale für Alte Musik. Aus dem alle zwei Jahre sich öffnenden musikalischen »zeitfenster« solle man, dies stand für die Organisatoren von Anfang an fest, nicht nur in die Vergangenheit schauen können. Den großen Ausblick auf eine Art verzweigtes Straßennetz wollen sie bieten: Schlaglöcher, Baustellen, Barrikaden, Einbahnstraßen, Sackgassen, Partien unter Denkmalschutz auf dem Weg in die Gegenwart eingeschlossen. Ob die barocke Harfe geschlagen oder auf Pommer, Zink und Dulzian musiziert wird: Das eine oder andere moderne Stück ist stets dabei.

Inniger verklammerten zwei Themenkonzerte die Epochen. »Affekthascherei« hieß es im »Radialsystem« am Ostbahnhof. Gleichsam durchkomponiert, ohne Pause zwischen den 15 einzelnen Stücken ging es eine gute Stunde lang um Sanftmut und Angst, Empfindsamkeit und Stilles Glück, Heiterkeit und Furcht, Heimweh, Klage, Liebe, Gier, Sehn- und Eifersucht. Die affektgeladenen Werke entstanden zwischen 1622 und 2009.

Mit einem soave, weich, zu spielenden Theorbenstück von Bellerofonte Castaldi (1580–1649) begann der Abend und bot sogleich den Reiz, das ewige basso-continuo-Instrument einmal virtuos solistisch zu hören. Es folgte »Fische mit Füßen und ohne I, Profilneurose« von Klaus Lang, darauf eine Violinsonate von Biagio Marini, komponiert 1629 in Venedig, die wiederum in eine kurze Improvisation überging.

Ein Kammerensemble Alter Musik stand einem Kammerensemble Neuer Musik gegenüber, hier barocke Streichinstrumente, Theorbe, eine winzige Gitarre, Cembalo und Orgel, dort Schlagwerk, Klarinette, Posaune und Tuba. Titus Engel dirigierte beide Grüppchen.

Es galt klingend zu erkunden, ob Komponisten, geboren zwischen 1968 und 1974, ebenso wie die Meister des frühen 17. Jahrhunderts imstande sind, Affekte in Klang umzusetzen und womöglich, wie es damalige Theorien behaupteten, diese Affekte durch exakt definierte Klänge punktgenau zu erzeugen. Es gelang mal mehr, mal weniger. Auf jeden Fall kam die angekündigte Heiterkeit auf über die Schlitzohrigkeit der Fischfüße von Klaus Lang und Freude über die wunderbar musizierenden Bands spürte der zuhörende Mensch ebenfalls. Nadja Zwiener spielte schier genial auf der Barockvioline, ebenso Matthew Cellan Jones auf den Zupfinstrumenten, und Spezialisten für Neue Musik sind ohnehin fast immer sehr gut.

Existentieller wurde die Sache mit der Alten und Neuen Musik im Großen Saal des Konzerthauses. Nichts weniger als »Schicksalsmusik« sollte erklingen. Thema verfehlt, trotzdem die Eins, ließe sich zu diesem ganz eigensinnigen Konzert-Gesamtkunstwerk unter der Leitung von Olof Boman sagen.

»Lontano« hieß das Eröffnungsstück für Solometronom, gemischten Fernchor und Klickgeräusche von Martin Willert. Dunkelheit herrschte im Saal, etwas Licht kam durch geöffnete Türen und ein gleißendes Spotlight auf das Metronom. Hoch diffizil, wie sich dem langsamen Grundtakt von Metronom und Gesang ein un-ortbares Klicken und Klacken nach und nach netzartig überlagerte, dann wieder langsam vertröpfelte.

An eine Meditierpause war dennoch nicht gedacht. Das Konzerthausorchester setzte sogleich zu Verdis Ouvertüre zu »Macht des Schicksals« an. Nach diesem gepflegten Stück 19. Jahrhundert folgten tschingdarassabum zwei von »Zehn Märschen um den Sieg zu verfehlen« von Mauricio Kagel. Inzwischen hatte sich das Vokalconsort Berlin neu geordnet und der Blechmusik folgte das legendenumwobene »Miserere« von Gregorio Allegri. Wie von Engelsstimmen intoniert, gehörte es zur katholischen Karfreitagstheatralik der Sixtinischen Kapelle in Rom.

Ob man dort übrigens so grandios intonationssicher, schlackenlos klangrein und homogen sang wie es das Vokalconsort tat, darf bezweifelt werden. Besser geht es sicher nicht. Es war als fühle man sie, die berühmte »Luft von anderem Planeten«. Mit diesem Gedicht, »Entrückung« von Stefan George, ergänzte Arnold Schönberg sein 2. Streichquartett mit einem Sopransolo. Dieses nun war doch wieder schicksalhaft, denn das Werk stand am Anfang seiner 12-Ton-Kompositionen und erregte bei der Uraufführung einen ungeheuren Skandal. Am Dienstag im Konzerthaus fand man es, bearbeitet für Streichorchester und gesungen von Claudia Barainski, nur noch glänzend schön und versank darin – bis rumms! der nächste Kagel-Marsch ertönte, diesmal draußen hinter geschlossenen Türen.

So ging es weiter in spannungsgeladenem Wechselspiel zwischen Orlando di Lasso und glänzendem Kammerchor-Gesang, einem blechdominiertem Penderecki-Orchesterprelude, einer faszinierenden Bach-Hommage von Knut Nystedt bis zum eindringlichen Appell von Schönberg, op. 13, »Friede auf Erden«.

Viel Beifall, viel Zustimmung für ein solcherart singuläres Konzert-Ereignis, pausenlos, komponiert.

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