Tödliche Untersuchung
Agatha-Christie-Klassiker »Zehn kleine Negerlein« im Kriminaltheater
Wer während einer Vorstellung des Berliner Kriminaltheaters ins Umspannwerk in der Palisadenstraße kommt, könnte dort vielleicht Schauspieler kostümiert im Foyer antreffen, die erklären, sie wirkten zwar mit, seien aber schon tot. Im Theatersaal erwarten die Zuschauer indes den nächsten Mord. Niemand bleibt übrig in Agatha Christies Kriminalstück »Zehn kleine Negerlein«. Acht Personen werden ermordet, zwei bringen sich um.
Die Autorin hielt es für notwendig, eine von ihrem 1939 erschienenen Roman etwas abweichende Bühnenfassung zu schreiben. Nicht nur Abläufe änderten sich darin, auch Namen, Berufe und sogar ein Opfer, wie die Übersetzung von Fritz Peter Buch und Bearbeitung von Werner Wollenberger zeigt, die dem Kriminaltheater als Vorlage für die neue Produktion diente. Christies Enkel Mathew Prichard sandte dafür die besten Wünsche.
Acht einander Fremde reisen auf eine mysteriöse Einladung für ein Wochenende auf eine einsame Insel. Sie werden dort von zwei Bediensteten erwartet. Allesamt hatten sie vorab ein warnendes Gefühl, gaben aber der den Verstand umnebelnden Eitelkeit nach. Und so treffen sie sich in dem Haus auf der Insel – beladen mit Gepäck und Schuld. Denn jeder von ihnen hat einem oder mehreren Menschen den Tod gebracht, was sie mehr oder weniger oder gar nicht belastet.
Regisseur Wolfgang Rumpf, erfahren und gewitzt im Spannungsaufbau von Kriminalstücken, lässt die Schauspieler in übertriebener Verlegenheitsheiterkeit das Spiel beginnen und keinen der Gäste die an eine Bestatterfiliale erinnernde Architektur des Domizils ernsthaft wahrnehmen. Manfred Bitterlich schuf das hintersinnige Bühnenbild und beweist auch Humor in der Ausstattung. So ließ er den Rollator des alten Generals Mackenzie mit Tarnmusterstoff beziehen. Rumpf führt den aufmerksamen Beobachter schnell auf die Spur des Mörders. Es wäre jedoch kein ausgeklügeltes Stück, würde man nicht von dieser Fährte wieder abgelenkt. Bis dahin ist der Frohsinn im Haus längst Angst und Misstrauen gewichen, denn außer einem weiß niemand, wer der Gastgeber ist, der sich als A. N. Onym ausgab. Das klärt sich erst am Ende der für alle tödlichen Untersuchung der fatalen Ereignisse auf.
Für das Ensemble wählte der Regisseur und künstlerische Chef des Hauses, lange an der Bühne arbeitende und neue Darsteller. Nassforsch spielt Max Haupt den jungen Anthony Marston. Sandra Steinbach und Gerrit Hamann sind betont kühl Köchin und Butler, die sich als Ehepaar Rogers nichts mehr zu sagen haben. Gundula Piepenbring, die man auf dieser Bühne schon in lebensfrohen Rollen sah, überzeugt hier als die alte Emily Brent mit bitterbösem Zug um den Mund. Sie versteht es am besten von allen, Bestürzung auszudrücken. Als der frühere Staatsanwalt Sir Lawrence Wargrave erstaunt Kaspar Eichel alle ohnehin Verunsicherten mit immer neuen Täterprofilen.
Schön vertrottelt verkörpert Wesselin Georgiew den General Mackenzie. Maria Jany ist die beflissene Sekretärin Vera Claythorne, die trotz aller Ängste mit dem sich locker gebenden ehemaligen Offizier Philip Lombard, gespielt von Sebastian Freigang, flirtet. Klaus Rätsch ist als der die Nerven verlierende Psychiater Dr. Armstrong im Spiel. Und Mirko Zschocke zeigt gut als früherer Polizist William Blore, dass der wiederum ein schlechter Schauspieler ist.
Bis zum Schluss bleibt das samt Pause zweieinhalb Stunden dauernde Stück, das Regisseur Rumpf für das stärkste von Agatha Christie hält, spannend. Ein Telefon, über das die Gefahr für sich Ahnenden Hilfe hätten rufen können, ließ die Autorin als Schachzug des Mörders weg. Heute ließe sich so eine Situation per Handy oder Internet natürlich schnell aufklären, sagen die Kriminaltheatermacher. Diese Möglichkeiten einfach nicht zu beachten, sei eine Art stille Abmachung mit dem Publikum.
Die soll auch für das nächste neue Stück »Der Name der Rose« nach dem berühmten Roman von Umberto Eco gelten, das Rumpf im kommenden Jahr inszenieren will.
Berliner Kriminaltheater, Palisadenstr. 48, Telefon.: 47 99 74 88, www.kriminaltheater.de
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