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Alle fünf Tage ein Absturz
Die letzten Kriegsmonate in Südwest-Thüringen
Untersuchungen zur Regional- und Ortsgeschichte sind sozial und kognitiv wertvoll. Sie bereichern das überregionale Geschichtsbild durch Beschreibung konkreter lokaler Ereignisse und Individuen. Derart können sie umfassendere oder präzisere geschichtswissenschaftliche Kenntnisse in Bevölkerungskreise leiten, die ohne den heimatgeschichtlichen Katalysator für solche schwerlich aufgeschlossen sind.
Der gebürtige Schleusinger und heutige Suhler Bürger Lothar Günther (Jg. 1935) leistet dies in seinen jüngsten Beiträgen zur thüringischen Heimatgeschichte in oft vorbildlicher Weise. Er bettet den Luftkrieg in Südwest-Thüringen 1944/45 in das Gesamtgeschehen ein. Er entzieht sich so erfolgreich der Gefahr, heimatgeschichtliche Studien nur bis zu den Grenzen des lokalen Gesichtskreises, nur im Umfeld des eigenen Kirchturms also, zu betreiben. Mit viel Aufwand und Fleiß hat der Autor, auch dank der Befragung noch lebender Augenzeugen, viele Ereignisse detailliert rekonstruieren können, die vermutlich bald vergessen wären.
Die Bombardierung von Eisenach, Meiningen oder Gotha gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wird ebenso subtil beachtet wie die noch kleinerer Städte, so von Hildburghausen, Vacha oder Schmalkalden. Er verweist darauf, dass für die Besatzungen abgeschossener amerikanischer oder britischer Maschinen zunächst einmal eine zeitlich ungewisse deutsche Gefangenschaft bevorstand. Doch vor ihrer Einlieferung in ein Lager drohte ihnen nicht selten die Lynchjustiz einer aufgebrachten und aufgehetzten deutschen Bevölkerung. Viele Thüringer erkannten nicht die eigentlichen Ursachen für das, was sie zu Ende des Krieges tagtäglich in Angst und Schrecken versetzte und nahmen die selbst erlebten Ereignisse isoliert wahr.
Überraschend war für mich, dass selbst in den letzten Monaten vor Kriegsende in Südwestthüringen noch mehr alliierte Flugzeuge zu Boden gegangen sein sollen als solche der faschistischen Luftwaffe. Dies lag gewiss nicht darin, dass die alliierten Bomber an den hohen Bergen um den Rennsteig scheiterten oder die deutsche Luftwaffe noch immer übermächtig agiert hätte. Vielmehr waren die sich zumeist auf dem Rückflug zu ihren Basen in England, Frankreich und schließlich Italien befindenden alliierten Flugzeuge, bevor sie den Himmel über Thüringen erreichten, über den Industriezentren um Halle, Böhlen, Leipzig oder Chemnitz durch Flakbeschuss beschädigt worden. Laut Günther sollen mehr als 90 alliierte und deutsche Flugzeuge in den letzten 400 Tagen des Krieges über Südwest-Thüringen abgestürzt sein, etwa alle fünf Tage eines.
Fast zeitgleich mit seinem Buch über den Luftkrieg im südlichen Thüringen publizierte der Autor ein weiteres über die Besetzung des Gebietes durch amerikanische Bodentruppen in den ersten Apriltagen 1945. Ich stand als Halbwüchsiger dabei, als der Schmalkaldener Fabrikant Christoph Reich, ausgerüstet mit einer weißen Fahne, seine Heimatstadt den Amerikanern zur Kapitulation anbot. Heute, 65 Jahre später, werden solche Ereignisse, selbst was die beteiligten Personen angeht, unterschiedlich dargestellt. Günther ist sich unsicher, wer genau in den ersten Apriltagen 1945 die Kapitulation Schmalkaldens angeboten hat. Der Nazi-Bürgermeister Kramer (mein Schulweg führte mich täglich an seiner Villa vorbei) zählte jedenfalls nicht zu den Parlamentären, die mehrere Kilometer auswärts die Amerikaner um die Besetzung ihrer Stadt ersuchten.
Lothar Günther: Der Luftkrieg zwischen Rhön und Rennsteig 1944-1945. 323 S., br., 16,80 €.
Derselbe: Als die Amis kamen ... Auf den Spuren der 11. US-Panzerdivision zwischen Rhön und Rennsteig. 232 S., br., 14,80 €. Verlag Resch, Meiningen.
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