Blicke für die Dame, König außer Acht

Schach-WM: Die 4. Partie im Experten-Check von Artur Jussupow

  • Lesedauer: 3 Min.
Großmeister Artur Jussupow kommentiert für ND die WM-Partien aus Sofia. Der 50-jährige Großmeister war mehrfacher WM-Kandidat und holte mit Deutschland Silber bei der Schacholympiade 2000. Jussupow ist heute ein gefragter Schachtrainer und Buchautor.
Artur Jussupow
Artur Jussupow

Die 4. Partie war der bisherige Höhepunkt dieser Weltmeisterschaft. In ihr zeigte Viswanathan Anand erneut seine einsame Klasse. Der Champion hat sich von der Auftaktniederlage schnell erholt und in Sofia längst zu seinem Spiel gefunden. Nach zwei Siegen und einem Remis hat er das Match gegen den Bulgaren Wesselin Topalow gedreht und führt nun vor der fünften Partie am heutigen Freitag und der sechsten am Sonnabend mit 2,5:1,5 Punkten. Der Tiger von Madras bewies dabei große Nervenstärke und Übersicht.

Als Weißer spielte Anand zweimal Katalanisch und machte Druck auf Topalows Stellung, als Schwarzer wehrte er mit der Slawischen Verteidigung alle Angriffe des Herausforderers ab. Der Weltmeister hat, so scheint mir, das Rezept gefunden, wie das Duell erfolgreich zu bestreiten ist. Sein Spiel erinnert sehr an Wladimir Kramnik, der früher gegen Topalow mit Weiß auch auf Katalanisch setzte.

Um Anands ausgezeichnete Vorbereitung zu umgehen, wählte der Herausforderer zuletzt einen anderen Weg und versuchte ein Gegenspiel am Damenflügel. Aber seine Figuren standen längst nicht so harmonisch wie die von Weiß. Der Bulgare konzentrierte sich zu sehr auf die Ereignisse am Damenflügel und ließ dabei die Sicherheit seines Königs außer Acht.

Den schwarzen Zug 20…h6 halte ich für einen entscheidenden Fehler. Anand nutzte das ungenaue Spiel seines Gegners sogleich zu ein paar Keulenschlägen. Er opferte mit 23.Sxh6 und dem kräftigen 25.e5 mehrere Figuren, wonach die schwarze Stellung zusammenbrach. Das gewonnene Material nützte Topalow nichts, er konnte das Eindringen der weißen Figuren nicht verhindern. Ein großartiger Angriff des Weltmeisters.

Anand zeigt bei dieser WM in Sofia, dass er in jedem Stil spielen kann: scharf attackieren oder eine Position strategisch klug zum Sieg ausbauen. In dieser Form ist er nur schwer zu schlagen. Aber das Match ist noch längst nicht gelaufen. Topalow muss jetzt auf seine Chance warten. Wenn er sie bekommt, kann er durchaus zurückschlagen. Es sind ja noch acht Partien zu spielen. Am gestrigen Ruhetag hatte der Bulgare Zeit, über eine neue Strategie nachzudenken. Heute in der 5. Partie schlägt der Herausforderer mit Weiß wieder auf.

Notation der 4. Partie

Weiß: Viswanathan Anand (Indien) – Schwarz: Wesselin Topalow (Bulgarien) Katalanisch 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.g3 dxc4 5.Lg2 Lb4+ 6.Ld2 a5 7.Dc2 Lxd2+ 8.Dxd2 c6 9.a4 b5 10.Sa3 Ld7 11.Se5 Sd5 12.e4 Sb4 13.0-0 0-0 14.Tfd1 Le8 15.d5 Dd6 16.Sg4 Dc5 17.Se3 S8a6 18.dxc6 bxa4 19.Saxc4 Lxc6 20.Tac1 h6 21.Sd6 Da7 22.Sg4 Tad8 23.Sxh6+ gxh6 24.Dxh6 f6 25.e5 Lxg2 26.exf6 Txd6 27.Txd6 Le4 28.Txe6 Sd3 29.Tc2 Dh7 30.f7+ Dxf7 31.Txe4 Df5 32.Te7 1:0 Stand: 2,5:1,5.

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