Ein Feld voller Möglichkeiten
Mit der Eröffnung des Tempelhofer Parks ist ein Streit um die Nutzung entbrannt
Auf einem Mauervorsprung, nicht weit vom Eingang in der Herrfurthstraße, saß eine alte Frau mit Kopftuch und genoss den weiten Blick. Von dieser Anhöhe aus verstellt kein Baum die Sicht bis hin zu den ersten Häusern am südlichen Ende. Der Gehstock lehnte im Schoß; sie könne nicht mehr lange laufen, erzählte Emine, die 1968 aus der Türkei nach Neukölln einwanderte. Ihre Kinder und Enkel sind auf der Landebahn spazieren gegangen.
Die erkundeten zusammen mit weiteren zehntausenden Besuchern am Wochenende Berlins neuen Park; sie fuhren Fahrrad oder ließen sich mit dem Velotaxi chauffieren, ließen Drachen steigen oder liefen Inlineskates. Anderthalb Jahre, nachdem das letzte Flugzeug von Tempelhof abhob, hat der Zaun nun Löcher bekommen, und zweifellos wird der Park nachhaltig die umliegenden Kieze verändern. Ein weites Feld eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie man diesen Raum nutzen kann.
An den offiziellen Info-Buden lagen Zeitungen der Kampagne »sei Berlin« aus. Darin heißt es, die Metropole sei die »Stadt der Ideen«. Im Jahr 2017 kommt die Internationale Gartenausstellung (IGA) auf das Gelände, bis dahin soll der nördliche Teil des ehemaligen Flugfeldes als Landschaftspark gestaltet werden. Außerdem will der Senat einen äußeren Ring zur Bebauung freigeben. Am Columbiadamm und hinter dem Schillerkiez in Neukölln werden neue Wohnquartiere entstehen, während entlang des Tempelhofer Damms und der Ringbahn Gewerbeflächen vorgesehen sind.
Als der Senat im Sommer vergangenen Jahres die Pläne zur Änderung des Flächennutzungsplans auslegte, fand sich auch die Gartenkolonie am Flughafen auf jenem Gebiet wieder, das als Grünfläche entwidmet werden soll. »Am Columbiadamm wird eine Anlage mit 1500 Wohneinheiten entstehen«, erklärte Wolfgang Hahn, Vorsitzender der Kolonie. Vorschläge des offiziellen Ideenwettbewerbs sehen eine massive Bebauung auf den Kleingärten vor. Hahn und seine Mitstreiter protestieren dagegen nach Kräften. Zur Parkeröffnung informierten sie an einem Stand die Besucher über die Pläne.
Die Laubenpieper haben die LINKE auf ihrer Seite; sie spricht sich gegen eine Bebauung aus. In einem Flugblatt thematisieren die örtlichen Bezirksverbände das geplante Quartier in Neukölln. Auf der kleinen Anhöhe, wo die Großmutter Emine sich ausruhte, sollen einmal »Stadtvillen mit Blick auf das Tempelhofer Feld« entstehen. Neuköllns Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) wünscht sich eine »hochwertige, lockere Bebauung«, die auf den Schillerkiez abstrahlen soll. Viele Anwohner leben dort von Hartz IV.
Noch im vergangenen Jahr wurde die Öffnung des Flughafens vielfach mit der Hoffnung verknüpft, dass damit den Neuköllner Armenquartieren eine bessere Infrastruktur geschaffen werde. Einer »Ghettoisierung« sollte vorgebeugt werden, hieß es. Davon spricht inzwischen niemand mehr. Am Samstagnachmittag versammelten sich mehr als 1500 linke Demonstranten auf dem Hermannplatz. Sie zogen durch Neukölln und ihr Slogan »die Häuser denen, die drin wohnen« hallte in den Straßen. Redner machten auf ein sozialpolitisches Desaster aufmerksam: Jegliche Bemühungen um eine bessere Lebensqualität in Neukölln mündeten in einem rasanten Anstieg der Mieten. Das Armutsproblem erledigt sich für die Bezirkspolitik damit von selbst – die Einkommensschwachen werden schlicht verdrängt.
Als der Aufzug im Schillerkiez endete, war Emine schon gegangen. Die Eingänge zum Park waren mittlerweile verschlossen und wurden von Polizisten gesichert. Keiner kam mehr auf das Gelände, so dass sich einige Protestierer davorsetzten. Später gab es die ersten Platzverweise auf dem Tempelhofer Feld, denn immer wieder versuchten Demonstranten den Zaun zu erklimmen und lieferten sich mit der Polizei ein Katz-und-Maus-Spiel.
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