Cheap Blood
Blutiges Wagnis
Was heutzutage zum Inhalt eines erfolgreichen Horrorfilms werden kann, war vor einigen Jahrhunderten noch religiös-spirituelle Grenzüberschreitung, die zur Heiligsprechung, aber auch zum per Inquisition befohlenen Feuertod führen konnte. Auf diesen Zusammenhang macht das Stück »Cheap Blood (199)« von Johannes Müller in den Sophiensälen aufmerksam.
Müller, Absolvent der Musikhochschule »Hanns Eisler« und Mitbegründer des alternativen Opernprojekts »Dynamo West«, verknüpft Auszüge der Kantate Nr. 199 von Johann Sebastian Bach mit Popsongs, die zum Teil bereits in der Musical-Version von Stephen Kings Horrorroman »Carrie« verwendet worden waren. Carrie ist ein pubertierendes Mädchen, das zeitgleich mit der ersten Menstruation ihre telekinetischen Fähigkeiten entdeckt und sie, durchaus von Selbstzweifeln geplagt, auch einsetzt. Sie kann mit ihrer Vorstellung Gegenstände verrücken und sogar Einfluss auf Körperfunktionen von Menschen nehmen. Das nutzt sie in zunehmendem Maße, um sich etwa ihrer Mutter zu erwehren, vor allem aber, um sich an Mitschülern zu rächen, die sie ihrerseits heftig drangsaliert hatten. Beim Horrorexperten King kulminiert der Konflikt in einer großen Flammenorgie, die die meisten von Carries Gegnern nicht überleben.
Bachs Kantate mit dem schaurig-schönen Titel »Mein Herze schwimmt im Blut« passt daher auf den ersten Blick ganz prima ins Szenario. Vor allem im kurzen Teil nach der Pause treiben sich die sakralen Klänge der alten Musik und das Feuer des Pop wechselseitig an. Die Protagonisten treten aus einem Chorarrangement hinaus in die Mitte, um sich dann wieder zu einem stimmgewaltigen Organismus zu vereinen. Und tatsächlich beleuchten sich auch das Horrormotiv Kings und das Vergebungs- und Erlösungsmotiv Bachs für einen Moment gegenseitig. In den letzten 20 Minuten darf man das musikalisch-szenische Experiment tatsächlich für gelungen halten.
Im ersten Teil hingegen wird mit eher hausbackenen Mitteln versucht, den Plot nachzuerzählen. Müller inszeniert hier ein Trash-Musical mit Bach-Anreicherung und oberflächlichen Gags. Ein Auto steht auf der Bühne, in dem die Darsteller der Teenager mal zu Liebesspielen und mal zum Streit verschwinden. Sie werfen mit Glitter und Glitzer um sich und erbrechen sich manchmal sogar silbern. Unklar bleibt, ob der Regisseur das Musical-Genre nur parodieren will, oder ob er nur nicht über die Mittel verfügt, die glatte, perfekte Oberfläche der eher gelungenen Produkte dieses Kunstzweigs herzustellen. Trotz ihrer erstaunlichen musikalischen, schauspielerischen und tänzerischen Fähigkeiten (Jördis Richter in der Hauptrolle ist eine echte Entdeckung) wirken die fünf Akteure deshalb auf der Bühne zuweilen sehr allein gelassen.
Das Arrangement nach der Pause hingegen überzeugt. Zwar erschließt sich die konzeptionelle Koppelung von Bach und King vor allem dem, der die auf Grundlage einer Sammlung von Kirchenopfern komponierte Kantate schon vorher kannte (oder sich nachvollziehend damit vertraut macht), aber die thematische und ästhetische Reibung dieser beiden Elemente entfaltet auch ohne dieses Kontextwissen ihren Reiz.
»Cheap Blood« ist ein Versuch, sich in einer profanen Welt nicht- profanen Phänomenen zu nähern. Das Projekt arbeitet herkömmliche Verarbeitungswege (religiöse Überhöhung sowie abwertende Aufladung als Horror) ab, drückt sich aber um ein eigenes Statement. Daher bleibt es auf der Stufe einer mal gut und mal weniger gut funktionierenden musikalischen Collage stehen. Immerhin haben Müller und seine Mitstreiter aber etwas gewagt.
Sophiensäle, 14./15.5., 20 Uhr
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