Umgehungsstraße im Naherholungsgebiet

Göttingen lässt erstmals in seiner Geschichte die Bürger über ein Vorhaben abstimmen / Stadtrat will sich an das Votum halten

  • Reimar Paul, Göttingen
  • Lesedauer: 3 Min.
Weil es im Göttinger Stadtrat keine klare Mehrheiten für oder gegen das Projekt gibt, dürfen rund 95 000 Wahlberechtigte über den Bau einer Umgehungsstraße abstimmen. Die Gegner der Straße kritisieren die Kosten für die klamme Stadt und die Zerstörung eines Erholungsgebietes.

Es ist wie im Wahlkampf. In der Göttinger Innenstadt stehen Büchertische, an Laternenpfählen und Straßenschildern bappen Aufkleber, es gibt Informationsveranstaltungen und Podiumsdiskussionen. Allerdings werben dieses Mal nicht Parteien um Wählerstimmen. Es geht vielmehr um die Abstimmung über eine Umgehungsstraße, die so genannte Südspange.

Die Trasse soll einen großen Teil des von Süden über die Bundesstraße 27 kommenden Verkehrs um die Stadt herumführen und an eine bereits bestehende Umgehung anschließen. Im Göttinger Rat gibt es keine klaren Mehrheiten für oder gegen den Bau. Deshalb beschloss das Kommunalparlament mit den Stimmen von SPD und Grünen eine »Volksabstimmung«. Damit lässt die Stadt erstmals in ihrer Geschichte die Bürgerinnen und Bürger mehr oder weniger direkt über ein umstrittenes Vorhaben entscheiden. In dieser Woche hat die Verwaltung damit begonnen, die Abstimmungsbögen an die rund 95 000 Wahlberechtigten zu verschicken.

Für den Bau der Südspange setzen sich vor allem CDU und FDP ein. Sie argumentieren im Wesentlichen mit schnelleren Verkehrsflüssen und einer Entlastung besonders stark befahrener Straßen in der Stadt. Falsch, sagen Grüne, LINKE, viele SPD-Leute und die Bürgerinitiative (BI) Göttinger Süden. Die Umgehungsstraße reduziere den Verkehr nicht, sondern verteile ihn lediglich um. Die Anwohner bestimmter Straßen müssten sich sogar auf mehr Durchgangsverkehr einstellen.

Außerdem, so die Kritiker, werde das wichtigste Göttinger Naherholungsgebiet durch den Straßenbau zerschnitten. Tatsächlich ist die Gegend südlich des Göttinger Kiessees bei Radfahrern, Joggern, Inline-Skatern, Spaziergängern und Hundeausführern äußerst beliebt. »Die Südspange würde diesen fuß- und radläufig erreichbaren Erholungsraum unwiederbringlich zerschneiden und zerstören«, erklärt die BI. Erholungs- und Bewegungssuchende müssten sich stattdessen samt Kötern und Kinderwagen auf einer nur halb so großen Fläche drängen.

Entscheidend bei der Abstimmung könnte aber ein anderer Aspekt werden. Die ohnehin finanziell Not leidende Stadt würde durch Ausgaben von mehreren Millionen Euro weiter belastet. »Das Geld fehlt dann in den Bereichen Soziales, Jugend, Bildung und Kultur«, sagt der Ratsherr der LINKEN, Patrick Humke-Focks.

Die Befürworter verweisen darauf, dass die geschätzt sieben bis acht Millionen Euro teure Straße größtenteils vom Land Niedersachsen bezahlt werde. Aber eben nur größtenteils – die Stadt wäre immer noch mit rund 2,8 Millionen dabei und müsste überdies die Planungskosten von 500 000 sowie jährlich mehrere 10 000 Euro Unterhaltungskosten tragen.

Die Bürger können sich bis zum 14. Juni überlegen, ob sie mit »Ja« oder »Nein« stimmen, dann müssen die Bögen wieder bei der Stadt eingegangen sein. Der Stadtrat hat erklärt, dass er sich an das Votum der Bevölkerung halten wird. Voraussetzung ist allerdings, dass sich mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligen.

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