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- Kurz, Nick, Luft & Hickel
Welches Eigentum ist heilig?
Im Deutschen gibt es leider nur ein Wort, wofür die Franzosen zwei Worte haben: »Bürger« kann im Deutschen den Citoyen, den Staatsbürger, meinen, aber auch den Bourgeois, den Besitzbürger. Beide haben unterschiedliche Heiligtümer: der Citoyen seine Freiheit, der Bourgeois sein Eigentum. Am hartnäckigen und anhaltenden Widerstand der »bürgerlichen« Koalition zum Verlangen, Banken und Spekulanten an den von ihnen verursachten Verlusten des Staates und seiner Bürger angemessen zu beteiligen, ist deutlich abzulesen, die Interessen welcher Bürger diese Regierung vornehmlich vertritt. Bis vorvorgestern lehnte sie eine Finanztransaktionssteuer ab. Die Hedgefonds sollen strenger kontrolliert, aber nicht wieder verboten werden. Auch die gefährlichen Spekulationen mit Leerverkäufen sind nicht grundsätzlich, sondern für das nächste Dreivierteljahr und nur für Staatsanleihen sowie die Aktien weniger Banken verboten. Nicht nur von Bankern war und ist zu hören, dass über freiwillige Beiträge hinausgehende Leistungen der Banken eine faktische Enteignung bedeuten würden, ein politisches Sakrileg.
Enteignungen der Bourgeois darf es nicht geben, Enteignungen der Nicht-Bourgeois-Bürger dagegen sehr wohl. Das geschieht massenhaft und wie selbstverständlich, ohne viel Aufhebens. Den Hartz IV-Beziehern wird das Ersparte bis auf einen bestimmten »Selbstbehalt« einfach weggenommen. Von Staats wegen.
Die Enteignung der Ostdeutschen vom Volkseigentum geschah auf die gleiche Weise, denn es war natürlich unheilig, wenn nicht gar des Teufels. Der Enteignungsakt war im Beschluss über den Privatisierungsauftrag der Treuhand verpackt, der die Überführung des Volkseigentums in Eigentum des Bundes zur Voraussetzung hatte.
Aufschlussreich auch, dass in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, in denen die Betriebe sich in Selbstverwaltung der Belegschaften befanden, die Privatisierung auf gleiche Weise vollzogen wurde, mit dem Zwischenschritt der Überführung in das Eigentum des von Neoliberalen geführten Staates. Gegenüber dem Privateigentum hielt man es offenbar für dasselbe Teufelszeug wie die VEB der Ostdeutschen. Wie in Ostdeutschland wurden die Massen mit gewissen finanziellen Versprechen geködert; nicht etwa das ostdeutsche Volk, sondern die Sparer sollten für die 1:2-Umstellungen ihrer Guthaben in der »Währungsunion« entschädigt werden. Auch daraus wurde bekanntlich nichts. Der bürgerliche Schwindel beginnt schon bei der Definition des Begriffs »Eigentum«: die Ausschließung Dritter von der Verfügung über die Sache. Deshalb, so argumentierte eine brandenburgische Verfassungsrichterin, sei das Volkseigentum rechtlich gar kein Eigentum gewesen. Es sollte allen gehören, gehörte aber angeblich niemandem. Es wird hier unterschlagen, dass das Prinzip der Ausschließung nur für Privateigentum gilt. Eigentum kann aber auch durch das Prinzip der Einschließung, des Rechts auf allgemeinen Zugang definiert werden. Das gilt dann für Gemeineigentum.
Wer wird denn enteignet – die privaten Besitzer von Seegrundstücken, wenn sie die Uferwege für die Allgemeinheit zugänglich machen müssen, die auch sie natürlich begehen dürfen? Oder wird nicht vielmehr die Allgemeinheit enteignet, wenn man ihr den Zugang zu den Uferwegen versperrt? Hier ist schon heute die Marxsche Verheißung zu erfüllen, wonach »das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wird wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen«.
In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.
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