»So etwas müsste es öfter geben«
Berliner Kitakinder fanden in einem Seniorenheim eine Notunterkunft – sehr zur Freude aller
Emely (5) und Florentine (4) sind derweil auf der Toilette im Seniorenheim. Dass die so groß ist, damit auch Rollstuhlfahrerinnen hineinfahren können, ist für die Mädchen ein Abenteuer. Ein Steppbrett, das sonst im Seniorensport eingesetzt wird, hilft den Kindern als Steighilfe auf das ungewohnt hohe Örtchen. »Den roten Knopf dürfen wir nicht drücken«, mahnt Emely Florentine. Und sie weiß auch, warum: Der würde Alarm auslösen. Dann käme eine Krankenschwester und würde eine Seniorin in einer hilflosen Lage vermuten.
Die Kinder kennen sich so gut im Seniorenheim aus, weil ihre Kita vor gut einem Monat hier Unterschlupf gefunden hat. Das eigentliche Kitagebäude in Hellersdorf war Opfer einer Brandstiftung geworden, und Kitaleiterin Martina Junius musste von einem auf den anderen Tag Plätze für 180 Kinder finden. »Weil meine Mutter in dem Heim lebt, wusste ich, dass ein großer Saal vorübergehend leer steht. Ich fragte an und wir wurden mit offenen Armen empfangen«, erzählt sie. Seitdem sind 50 der 180 Kitakinder hier vorübergehend zu Hause. Bis heute noch. Nächste Woche geht es wieder zurück in die renovierte Kita.
Schade findet das die Pflegeassistentin Romy Winter aus dem Seniorenheim. Sie schiebt gerade eine schwerkranke Rollstuhlfahrerin an dem Kindersaal vorbei. Sprechen kann die alte Dame nicht mehr, aber das Kinderlachen zaubert ihr ein Lächeln ins Gesicht. »Unseren Bewohnern macht es einfach Freude, den Kindern beim Spielen zuzusehen. Die Kinder bringen Leben hier hinein. So etwas müsste es öfter geben«, sagt die Pflegerin. Einige ältere Menschen hätten auch schon Bonbons von Kindern geschenkt bekommen.
Pflegeheimleiter Herbert Großmann ergänzt: »Für unsere Bewohner waren die Kinder die reinste Freude. Niemand hat sich über Lärm beschwert.« Kinder würden unbefangener mit demenzkranken Menschen umgehen als Erwachsene, die da oft Scheu hätten. Und das täte diesen Menschen gut. Der Seniorenchor hat die Kinder jeden Dienstag zum gemeinsamen Singen eingeladen. Ein alter Herr hat dazu eigens seine lange ungenutzte Mundharmonika wieder hervorgeholt. »Hänsel und Gretel« und »Alle Vögel sind schon da« haben sie gemeinsam mit den alten Menschen gesungen, erzählt die kleine Emely. Sie fand das »cool«.
Traurig war Emely nur, als eine alte Frau in einen Krankenwagen hineingefahren wurde. »Da musste ich an meine Oma denken. Sie hatte einen Schlaganfall und kam auch ins Krankenhaus«, erzählt sie. Anderen Kindern würde der Umgang mit der Großelterngeneration ganz fehlen, sagt die Kitaleiterin. »Hier können sie Respekt vor der Lebensleistung älterer Menschen erwerben.«
Eine alte Dame hält zwei Kinder fest, die gerade über den Flur toben. Sie streichelt ihnen über die Wangen und lebt dabei auf. Ein Mann hat die Tür seines Zimmers geöffnet. So kann er den Kindern im Gang beim Toben zuschauen.
9 Uhr. Die Kinder lassen ihre Magnetspielsteine, Spielbretter und Knetmasse liegen und stellen sich an der großen Wand auf. Es ist der vorletzte Tag im Seniorenheim und sie singen ein Ständchen für das Personal und einige Bewohner. Für den Koch, der sie mit verköstigt hat. Für die Heimleitung. Und für eine völlig erblindete alte Dame. »Ihr könnt uns ja wieder einmal besuchen kommen«, sagt der Heimleiter. »Ihr könnt uns auch besuchen kommen«, erwidert die kleine Florentine. Doch das ist erst im September möglich. Bis dahin wird in die Kita eine rollstuhlgerechte Toilette eingebaut und die Senioren sind zum Kita-Geburtstag eingeladen. Fest vereinbart ist auch, dass Kitakinder zum Sommerfest und zum Adventfeiern ins Pflegeheim singen kommen. Und vielleicht können sie dann noch einmal »Mensch ärgere Dich nicht« spielen. Auf dem großen Brett und mit den coolen großen Spielfiguren.
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