Der »Zug der Tausend«
Vor 150 Jahren landete Garibaldi auf Sizilien
In der Nacht vom 10. zum 11. Mai 1860 näherten sich die Frachtdampfer »Piemont« und »Lombardo«, von Quarto bei Genua kommend, der Hafenstadt Marsala an der äußersten Westspitze Siziliens. In den Laderäumen der Schiffe saßen dicht gedrängt bewaffnete junge Männer. Die meisten von ihnen trugen rote Hemden. Es waren etwa 1000 Freiwillige. Unter den Kämpfern überwogen Studenten, Arbeiter, Fischer und Handwerker, es waren aber auch einige Dichter, Rechtsanwälte und Journalisten darunter.
Ihr charismatischer Führer Giuseppe Garibaldi, ein Mann von 52 Jahren, war die populärste Persönlichkeit im Italien des 19. Jahrhunderts. Er hatte in Südamerika als Anführer einer »Italienischen Legion« gegen das Regime des argentinischen Diktators Don Juan Manuel de Rosas gekämpft und dabei große Kriegserfahrung gewonnen. Garibaldi und seine Rothemden erstrebten leidenschaftlich ein großes Ziel: die Errichtung eines einigen und freien Italiens.
Der Wiener Kongress hatte 1815 auch in Italien die territorialen Veränderungen der Napoleonzeit wieder rückgängig gemacht. Im Norden kamen die Lombardei und Venetien zum österreichischen Kaiserreich. In den kleinen norditalienischen Fürstentümern Toskana, Parma, Modena und Lucca regierten Habsburger. Im mittleren Teil der Halbinsel wurde der Kirchenstaat wieder hergestellt. Piemont und Sardinien bildeten das »Königreich beider Sardinien«. Im Süden regierten die Bourbonen das »Königreich beider Sizilien« mit der Hauptstadt Neapel.
Nach 1815 wuchs in Italien der Wunsch, die reaktionären Zustände in den Einzelstaaten zu überwinden und die nationalstaatliche Einheit zu errichten. 1847 kam das zugkräftige Schlagwort »Risorgimento« (Wiedererstehung) als Synonym für die nationale Einigung auf. 1849 scheiterte auch in Italien die Revolution. In Rom war die Republik ausgerufen worden, und Garibaldi hatte mit seinen Kämpfern die Stadt zwei Monate lang gegen den Angriff französischer Truppen verteidigt. Seit 1852 betrieb dann der leitende Staatsmann Piemonts, Graf Benso di Cavour, eine sehr geschickte Politik, die darauf abzielte, den Einfluss und das Territorium seines Königreichs zu vergrößern.
Als Garibaldi mit seinen Rothemden in Marsala an Land ging, waren auf Sizilien 20 000 Soldaten des Königs von Neapel, Franz II., stationiert. Die Sizilianer begrüßten die Kämpfer Garibaldis begeistert als Befreier. Bei dem Ort Calatafimi besiegten die hochmotivierten Rothemden eine 3000 Mann starke Einheit der neapolitanischen Armee. Tausende von Freiwilligen strömten Garibaldi zu. Am 27. Mai zog dieser in Palermo ein. Mitte Juli beherrschte er ganz Sizilien. Die Hälfte der Rothemden war bei dem Befreiungszug gefallen.
In der Nacht zum 20. August überquerte Garibaldi mit 3500 Kämpfern die Straße von Messina. Das verhasste Regime der Bourbonen fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Bereits am 7. September zog Garibaldi in Neapel ein. Überall in Süditalien kam es nun zu Bauernunruhen. Die erschrockenen Großgrundbesitzer plädierten daraufhin für eine rasche Vereinigung des Südens mit Sardinien-Piemont. Piemontesische Truppen besetzten große Teile des Kirchenstaates (Umbrien und die Marken) und rückten auf Neapel vor. Im März 1861 wurde das Königreich Italien proklamiert und Viktor Immanuel II. nahm den Titel eines »Königs von Italien« an. Gegenüber Garibaldi, der so viel zur Einigung Italiens beigetragen hatte, verhielt der König sich kühl und abweisend. Garibaldi begriff, dass man ihn nach dem Sieg nicht mehr brauchte und zog sich vorläufig in die Einsamkeit der Insel Caprera zurück.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.