Schnelles Zupacken nach Jägerart
Schlimmer als Köhlers offene Worte – Bundesregierung verteidigt Gebirgstruppe trotz verbrecherischer Geschichte
Die Bundesregierung behauptet trotz Dutzender nachgewiesener Kriegsverbrechen, dass es historisch falsch und angesichts der »Geschichte der Gebirgstruppen der Bundeswehr als Teil der Parlamentsarmee in der Demokratie höchst unangemessen ist, von einer verbrecherischen Geschichte der Gebirgstruppen zu sprechen«. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der LINKEN (BT-Drs. 17/1471) bekräftigte sie, auch weiterhin die rechten Gebirgstruppen-Feiern im bayerischen Mittenwald und andere »Kameradenkreis-Veranstaltungen« zu unterstützen. Die Kameraden-Feier fand dieses Jahr geschmackvollerweise am 8./9. Mai statt, dem 65. Jahrestag der Befreiung.
Nachdem mit der Ausstellung »Vernichtungskrieg der Wehrmacht 1941-1945« ein gesellschaftlicher Konsens in der Beurteilung der faschistischen Armee erreicht worden ist, soll davon nun wieder abgegangen werden – ausgerechnet im Fall der Gebirgstruppe. In den Dörfern und Gemeinden Südeuropas war die Furcht vor jenen unterm Edelweiß einst ebenso groß, wie vor denen mit SS-Rune am Helm. Doch das wurde schon bei der Wiederbegründung der 1. Gebirgsdivision als Einheit der Bundeswehr 1956 beiseite geschoben. Franz Josef Strauß selbst hat für diese Kontinuität gesorgt, und zwar aus »Wertschätzung für deren Leistungen im Krieg«, wie es in seinen Erinnerungen heißt. Als obersten General der Gebirgstruppe setzte er seinen engen Vertrauten Max Pemsel ein, der somit seine Tätigkeit als Gebirgstruppenkommandeur der Wehrmacht fortsetzen konnte. Wer war Pemsel? Er war Oberst der Gebirgstruppe der Wehrmacht und 1941 an dem Befehl beteiligt, als Sühne für zehn tote und 24 verwundete deutsche Soldaten 1600 Serben, »möglichst Juden und Zigeuner«, zu erschießen. In der Bundeswehr betätigte er sich strafvereitelnd; er begründete den Kameradenkreis als »Selbsthilfegruppe« für Kriegsverbrecher.
Anders als die SS hat die Elitetruppe der Gebirgsjäger einen doppelten und dreifachen Schutzschild, der sie vor Entlarvung und Anklage bewahrte: Da war die Legende von der – anders als die SS – sauber gebliebenen Wehrmacht, zu deren besonders edlem Teil sie gehört habe. Da war die Rolle der Gebirgstruppe als unentbehrliche Einheit der neuen Bundeswehr, obgleich Ausrüstung, Ausrichtung und Standort ungeeignet für eine Verteidigungsarmee waren. Und da war die besondere Rolle einer bayerischen Armee, die von der besonderen bayerischen Unionspartei CSU und ihrem Chef Strauß den anderen Teilen der Truppe vorgezogen wurde. Kein deutscher Landstrich – auch nicht an der Küste mit der Marine – ist so verbunden mit »ihrer« Truppe wie der alpine. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber sprach von der »unangreifbaren Tradition« der Gebirgstruppe, die doch auch schon die faschistischen Freikorps wie »Oberland« der 20er Jahre umfasste. Und kaum ein bayerischer konservativer Politiker, der sich nicht freudig in diese Truppe begab. So auch Karl Theodor zu Guttenberg.
Doch damit nicht genug: Ein im Mai dieses Jahres bekannt gewordener »Wegweiser« der Bundeswehr für die deutschen Truppen in Afghanistan stellt positive Bezüge zum NS-Militär her und lobt die guten deutsch-afghanistanischen Beziehungen vor und nach 1945. Schon Mitte der 90er Jahre wurde in der »Gebirgstruppe«, der Zeitschrift des gleichnamigen Kameradenkreises, wiederholt mit Genugtuung berichtet, dass die Bundeswehr »vierzig Jahre nach ihrer Gründung zu ihrem größten Einsatz aufbricht« und »dass unser Land etwas hat, das es sich über Jahrzehnte hinweg energisch selbst abgesprochen hat: eine militärische und eine militärpolitische Rolle«.
Es ist auch kein Zufall, dass die Forderung aus der Gebirgstruppe kommt, Deutschland nicht nur am Hindukusch, sondern auch bei Hindelang/Bayern zu verteidigen, und zwar mit einer Heimatarmee, die bei Unruhen im Innern aktiv wird. Gebirgstruppen-Reservisten haben als Unionspolitiker Konzepte erarbeitet, die eine 25 000-Mann starke Truppe für den Kampf im Innern, gegen »Terror« und andere »Großschadensereignisse«, vorsehen.
Um die Handlungsfreiheit für die Gebirgstruppe und andere Eliteeinheiten wiederzuerlangen, propagierte Bundeswehrgeneral a. D. Jürgen Reichardt, Präsident des Bayerischen Soldatenbundes, in Publikationen für die Bundeswehr Straffreiheit für Kriegsverbrechen. Er schrieb, dass Bundeswehrsoldaten »in Situationen« geraten könnten, in denen sie wie einst die Gebirgstruppler »überreagieren«. Sie müssten befürchten, noch nach Jahrzehnten vor Gericht gestellt zu werden. Deshalb sollte Schluss sein mit der politischen wie juristischen Verurteilung der Wehrmachtsverbrechen und Wehrmachtsverbrecher. Reichardt sprang in seinem in der »Gebirgstruppe« veröffentlichten Beitrag ausdrücklich dem in München zu lebenslänglicher Haft verurteilten Leutnant a. D. der Gebirgstruppe Joseph Scheungraber bei, der wegen des Mordes von 14 italienischen Zivilisten angeklagt war und zu lebenslänglich verurteilt wurde.
Neun Monate, nachdem der General einer Wiederbelebung des deutschen Kriegsverbrechertums das Wort geredet hatte, wurden seine Forderungen beklemmende Wirklichkeit. Kriegsverbrechen deutscher Soldaten – diesmal der Bundeswehr – kamen ans Licht. Wer hoffte, für das Massaker vom 4. September 2009 in Kundus werde Oberst Georg Klein wie Scheungraber verurteilt, sah sich jedoch getäuscht. Zuvor hatten deutsche Juristen völkerrechtswidrige Kriegseinsätze der Bundeswehr zugelassen, das Verbot des Angriffskrieges nach Artikel 26 des Grundgesetzes faktisch sowie 139 GG, der den deutschen Militarismus ächtet, aufgehoben. Nach der Entscheidung der Bundesanwaltschaft vom 19. April 2010, die eine zynische Reinwaschung des Täters und Verhöhnung unschuldiger Opfer in Afghanistan bedeutete, äußerte ein Bundeswehroffizier befriedigt: »Das gibt uns mehr Handlungssicherheit.« Es darf also weiter gemordet werden in Afghanistan und wer weiß wo noch demnächst. Das Bombardement am Kundusfluss gehörte laut Bundesantwaltschft und Bundeswehr nicht zu den »verbotenen Methoden der Kriegsführung«.
Ganz normale Methoden der Kriegsführung seien auch – so einst Ex-Außenminister Joseph Fischer und sinngemäß Kanzlerin Merkel – die deutschen Massaker von Kommeno und Distomo, von Kefalonia und Kreta im Zweiten Weltkrieg gewesen. Die Hinterbliebenen der Opfer klagten auf Entschädigung, und deutsche Politiker wehrten sich vor höchsten Gerichten gegen die Zahlungen, denn hier lägen keine NS-Verbrechen, sondern Vorgänge im Rahmen der Kriegsführung vor. Ein solches Verfahren steht nun wieder an, und zwar in Den Haag. Hier klagt Frau Merkel gegen Italien, dessen höchstes Gericht die Ansprüche der Kläger für rechtens erklärte. Die Kanzlerin aber beansprucht »Staatenimmunität« für Deutschland, damit NS-Opfer nicht den NS-Nachfolgestaat anklagen können. Die so geschützten Täter der Gebirgstruppe, die nach dem Krieg in der Bundesrepublik Karriere machen durften, freut dies natürlich. Dazu gehörten:
Hubert Lanz, zunächst in Nürnberg als Kriegsverbrecher zu zwölf Jahren verurteilt und dann nach drei Jahren begnadigt, sicherheitspolitischer Berater der FDP und Ehrenvorsitzender des Kameradenkreises; Reinhold Klebe, der das Todesurteil gegen den italienischen General Gandin verlesen hatte und die Erschießung zahlreicher Menschen in Kommeno und Kephalonia befehligte, ab Juli 1956 Standortältester der Bundeswehr in Mittenwald; sowie Karl Wilhelm Thilo, Drei-Sterne-General der Bundeswehr, Kommandeur der 1. Bundeswehr-Gebirgsjägerdivision und stellvertretender Heeresinspekteur. Als Chef des Stabes der 1. Gebirgsjägerdivision der Wehrmacht hatte Thilo Massenmordbefehle in Jugoslawien und Griechenland unterzeichnet. Zu seinen Opfern gehörten 153 Männer, Frauen und Kinder im Alter von ein Jahr bis 75 Jahren, die im griechischen Dorf Mousiosas am 25. Juli 1943 ermordet worden sind. Später schrieb er an Büchern mit, die in der Bundeswehr kursierten. Über sein Wirken in Montenegro, wo tausende Menschen von der Gebirgstruppe ermordet wurden, ließ der Bundeswehrgeneral Thilo verlauten: »Widerstand nach Jägerart im schnellen Zupacken gebrochen.«
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