Das Schweigen der Eltern

Kinder von Kommunisten im Sowjetexil erzählten aus ihrem Leben

  • Andreas Herbst
  • Lesedauer: 4 Min.
»Deutsche Antifaschisten im sowjetischen Exil – Das verordnete Schweigen« war der Titel einer zweitägigen Veranstaltung, zu der VVN-BdA und der Verein »Helle Panke« in Berlin eingeladen hatten. Historiker, Kulturwissenschaftler, Publizisten, Filmemacher, Zeitzeugen und interessierte Bürger diskutierten Folgen des Stalinschen Terrors.
»1937« von G. Shilinski (Ausschnitt)
»1937« von G. Shilinski (Ausschnitt)

Der Robert-Havemann-Saal im Haus der Demokratie und Menschenrechte in der Greifswalder Straße war zum Bersten voll. Es ging um Schicksale deutscher Emigranten und ihrer Familien, die von den 1930er bis zu den 1950er Jahren in der Sowjetunion Opfer staatlicher Repressalien geworden sind. Unter den Teilnehmern viele Kinder und Enkelkinder deutscher, vornehmlich kommunistischer Emigranten, die sehr unterschiedlich und leidenschaftlich ihre Positionen vortrugen.

Unter der Moderation von Hans Coppi sprachen nach der Vorführung der die Tagung eröffnenden Dokumentation »Wir Kommunistenkinder« die Filmautorin Inga Wolfram, Ruth Santos (Enkeltochter und Tochter von Hermann und Helmut Remmele, die 1938 zum Tode verurteilt worden sind), Claus Bredel (Sohn des Schriftstellers Willi Bredel) sowie Eugen Ruge (Sohn des bis 1958 in Verbannung lebenden Historikers Wolfgang Ruge) über ihre Erfahrungen mit an ihren Angehörigen verübten Repressalien. Sie verwiesen auf das verordnete Schweigen, das auch die Kinder und Enkel zu stummen Mitwissern machte. Wenn sie sich denn nicht, früher oder später, dagegen auflehnten wie Margot Kippenberger, Tochter von Hans Kippenberger, dem 1937 erschossenen Leiter des militärpolitischen Apparates der KPD.

Fortgesetzt wurde die Tagung mit einem sehr interessanten und einfühlsamen Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Inge Münz-Koenen sowie Beiträgen der Historiker Carola Tischler (Die Sprache der Akten) und Meinhard Stark (Erinnern, Schweigen und Erzählen). Die Formulierung »verordnetes Schweigen«, so Inge Münz-Koenen (Tochter von Heinrich Koenen, der als Fallschirmspringer über Deutschland abgesetzt, gefasst und 1945 im KZ Sachsenhausen erschossen wurde), könne das volle Ausmaß dieser Schweigepraxis nicht erfassen; sie verkürze diese auf die Verpflichtung der Rückkehrer aus dem Sowjetexil, über das Erlebte nicht zu reden. Damit würde das Schweigen auf einen einmaligen administrativen Akt, eine Anordnung reduziert.

Doch das Verschweigen der Verbrechen geschah auf vielerlei Weise. Es konnte den Rückkehrenden als Desinteresse und Gleichgültigkeit der Behörden begegnen. Teils wurden die Remigranten aber auch von den Genossen der SED – die für sie vielfach noch »meine Partei« war – aufgefordert, vertrauensvoll alles niederzuschreiben, was sie in Gefängnis, Lagerhaft und Verbannung in der Sowjetunion erlebt hatten, um das Geschriebene dann in Panzerschränken verschwinden zu lassen – nur zum internen Gebrauch gedacht. In den veröffentlichten Tagebüchern und Lebensläufen zurückkehrender Emigranten wurden die Jahre der Repression ausgeblendet. Die geläufige Floskel lautete stets: »... war in den Jahren 1937 bis 1956 am sozialistischen Aufbau in der SU beteiligt«. In den offiziellen Geschichtsdarstellungen der DDR hat es deutsche Antifaschisten als Arbeitssklaven im Gulag oder gar als Todesopfer des Staatsterrors in der Sowjetunion über Jahrzehnte nicht gegeben.

In drei weiteren Diskussionsrunden unter der Moderation von Anja Schindler, Oswald Schneidratus (Sohn des zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilten Werner Schneidratus) und Gerd Kaiser tauschten Kinder deutscher Kommunisten ihre Geschichten und Erfahrungen aus, auch Auseinandersetzungen, die sie mit ihren Eltern hatten. So berichtete Ingel Glesel (Tochter des KPD/SED-Spitzenfunktionärs Walter Hähnel), wie sie ihre Eltern in der DDR immer wieder fragte, warum sie über die dunklen Seiten des Exils nicht sprechen wollten und welchen Anteil sie an den Repressalien hätten. Das Fazit der Tochter: Diese Partei könne nicht die ihre sein. Ihr Mann Alex Glesel, Sohn des in der Sowjetunion ermordeten Schriftstellers Samuel Glesel) berichtete, wie er 1955 in die DDR kam und im ZK der SED aufgefordert wurde: »Was Du und Deine Familie in der Sowjetunion erlebt haben, das behältst Du für Dich!«.

Ganz anders der Bericht von Andrej Reeder, Sohn von Gabo Lewin, der vom NKWD verhaftet wurde und 18 Jahre im Arbeitslager war. Seinen 1936 geborenen Sohn sah er erst als Erwachsenen wieder. Andrej Reeder hat erst jetzt in Moskau Einsicht in NKWD-Akten bekommen; er bemüht sich, das Leben seiner Eltern in allen Widersprüchen zu rekonstruieren. Ruth Santos informierte über ihre Probleme, in der DDR heimisch zu werden: In der Sowjetunion wollte man keine Deutsche sein, in der DDR keine Russin.

Wie nicht anders zu erwarten war, diskutierte auch das Publikum kontrovers. Ist von verordnetem oder selbst verordnetem Schweigen zu reden, von Scham wie auch vom Recht auf Schweigen und Verdrängen? Irene Runge mahnte, die nicht kommunistischen jüdischen Emigranten nicht zu vergessen. Schließlich ging es auch um die Frage, wie der Opfer des Stalinismus angemessen gedacht werden könne, wer zu den willkürlichen zu zählen sei und wer zugleich Täter und Opfer gewesen ist. Ist der Gedenkstein auf dem Sozialistenfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde eine angemessene Form des Gedenkens, fragten sich Hanna Tomkins, Ines Koenen (Tochter von Inge Münz-Koenen), Valerie Rippberger und Thomas Flierl.

Mit dieser Tagung ist das Thema nicht abgeschlossen. Der Arbeits- und Gesprächskreis »Schicksale von in der sowjetischen Emigration verfolgten deutschen Antifaschisten« beim Vorstand der Berliner VVN-BdA arbeitet weiter und steht allen Interessierten offen.

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