Nischen in Not
Mehrere traditionsreiche Berliner Kulturorte stehen vor dem Aus. Die Ursachen sind vielfältig
Einer Verwertung im Weg
Mitarbeiter des Kunsthauses Tacheles in der Oranienburger Straße zogen am Montag mit 50 Unterstützern durch den Bezirk Mitte und machten auf ihre missliche Lage aufmerksam. Zwar wird dem Off-Kulturzentrum in der Kaufhausruine das Wasser nun doch nicht, wie angedroht, zum 1. Juli abgedreht. Eine Räumung könnte aber dennoch schon bald erfolgen.
Linda Cerna, Sprecherin des Tacheles-Vereins, vermutet, dass die HSH Nordbank auf eine Verwertung des Areals drängt und das Haus plus dahinter liegende Freifläche als Gesamtpaket zwangsversteigern möchte. Hintergrund dafür ist laut Cerna, dass die Johannishof Projektentwicklung als Eigentümerin des Geländes keine Kredite mehr an die Gläubigerbank zurückzahle. Johannishof kaufte 1998 das Gelände und überließ die Ruine dem Tacheles-Verein für symbolische 50 Cent Miete im Monat. Ende 2008 lief dieser Vertrag aus, die Künstler blieben, woraufhin die Eigentümerin eine Nutzungsentschädigung einforderte. Monatlich belaufe sich eine dem Standort entsprechende Miete auf 17 000 Euro. »Das kann das Tacheles nicht aufbringen«, meint Cerna.
Der Tacheles-Verein will nun das Künstlerhaus vom Gesamtareal abspalten und mittels einer Stiftung zum Verkehrswert von 3,5 Millionen Euro kaufen. Ein erster Schritt dafür sei die Änderung des Bebauungsplans, erklärt Cerna. Sie appelliert an den Bezirk Mitte, zu handeln: »Die Politik soll endlich die Machtlosigkeit gegenüber Bankern und Immobiliengesellschaften überwinden.«
Opfer der Aufwertung
Dem Schokoladen und dem Club der polnischen Versager in der Ackerstraße 168 in Mitte steht das Wasser bis zum Hals: Die Mietverträge laufen Ende Juli aus, und der Eigentümer Markus Friedrich will beide Einrichtungen aus dem Haus haben. »Momentan wird geprüft, ob es bei der Kündigung durch die Rechtsanwältin einen Verfahrensfehler gab«, meint Piotr Mordel vom Club der polnischen Versager. Dann gibt es noch einmal einen Räumungsaufschub. Ein Kaufangebot der Nutzer schlug der Eigentümer aus. Er will die Immobilie aufwendig sanieren, um damit anschließend mehr Einnahmen zu erzielen.
Der Schokoladen und der Club der polnischen Versager wären weitere Opfer der Aufwertung in Mitte, die keine Rücksicht auf kulturelle Bedürfnisse nimmt. Die Bezirkspolitik reagiert hilflos. Eine Möglichkeit zu intervenieren hat sie nicht. Wirtschaftsstadtrat Carsten Spalleck (CDU) bleibt nichts weiter übrig, als zu »hoffen, dass die Kulturbetreiber Viertel entdecken, die preiswerter sind« – Wedding zum Beispiel.
Lärmkonflikte
Der Knaack-Club in der Greifswalder Straße darf gemäß einer Auflage des Bezirksamts Pankow Musik nur noch auf Zimmerlautstärke spielen. »Wir sind fast erledigt«, sagt Matthias Matthies, Geschäftsführer des traditionsreichen Clubs. Von den vier Tanzflächen ist nur noch eine geblieben. »Wir haben einen neuen Fußboden verlegt, der soll die Bassschwingungen reflektieren, so dass wir wenigstens noch ein Hauch von lauter Musik imitieren können.«
Grund für diese drastische Einschränkung ist ein Neubau an einer Außenwand des Knaack. Die Architekten achteten nicht auf den Lärmschutz, und nun gibt es eine Schallübertragung. Die neuen Anwohner klagten und bekamen vor dem Oberverwaltungsgericht Recht zugesprochen.
Probleme wegen der Lautstärke gebe es auch bei anderen Clubs«, meint Susann Treubrot von der Clubcommission, einem Zusammenschluss von Veranstaltern. »Sei es das Lido und das Watergate in Kreuzberg oder das Kesselhaus in der Kulturbrauerei«. Die Clubcommission versucht bei Konflikten zwischen Anwohnern, Betreibern und der lokalen Politik künftig zu vermitteln, bevor es – wie beim Knaack – zu spät ist.
Unwille der Eigentümerin
Im April hat die Musikbranche das SO 36 als besten Live-Club ausgezeichnet. »Diesen Preis haben wir stellvertretend für alle anderen Berliner Clubs erhalten, die auch kurz vor der Schließung stehen«, sagt Nanette Fleig vom SO 36. Auch hier gab es einen Nachbarn, der über den Lärm klagte. Akustiker und Architekten planten bereits eine Schallschutzwand von außen, doch dafür wollte die Eigentümerin Simone Stober keine Baugenehmigung erteilen.
Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) versuchte zu vermitteln. Gleichzeitig wendete sich das SO 36 mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit. »Das war riskant«, gibt Nanette Fleig zu bedenken, denn »anfangs war es nicht abzuschätzen, wie die Konzert-Agenturen auf die Nachricht reagieren, dass wir im Ärger fast versinken.« Doch es kam eine Welle von Sympathiebekundungen zurück.
Überall sieht man Plakate in den Fenstern der Oranienstraße, dass der Konzertladen erhalten bleiben soll. Es gehen Spenden ein, um die Kosten der Baumaßnahme von über 100 000 Euro zu finanzieren; auch die Rockstars von den Toten Hosen beteiligten sich mit einem Solidaritätskonzert. Mit Erfolg: Der Mietvertrag bis 2020 wurde nicht gekündigt, und im August beginnen nun die Arbeiten für den Schallschutz im Innenraum.
Zwischennutzung abgelaufen
Die Bar 25 in der Holzmarktstraße hat schon viele Räumungsandrohungen überstanden. Die berühmte Strandbar bekam für die Sommersaison einen letzten Aufschub und muss nun am 12. September definitiv ihre Bretterbuden am Spreeufer aufgeben. Anschließend soll das mit Schadstoffen belastete Gelände saniert werden, um es für eine weitere Bebauung marktfähig zu machen. Die Umweltbehörde hat hierfür Gelder zur Verfügung gestellt, die im kommenden Jahr verfallen würden. Die Berliner Stadtreinigung (BSR) als Eigentümerin plant hier ein hochwertiges Wohn- und Geschäftsgebäude.
Die Betreiber der Bar 25 interessieren sich indes für das brachliegende Spreepark-Gelände im Plänterwald. Auf dem Aral könnte man ein großes Kulturprojekt aufziehen, sagt der Bar-25-Inhaber Christoph Klenzendorf. Allerdings sei eine Neugestaltung des Spreeparks nur im Einvernehmen mit der Deutschen Bank zu bewerkstelligen, die als Hauptgläubiger mindestens zehn Millionen Euro geltend macht.
Verkalkuliert
Eine Perspektive gibt es auch wieder für das Kunsthaus Acud, das sich aus dem Griff der Zwangsverwaltung befreien konnte. Der Kulturverein hatte sich mit der Sanierung des Altbaus in der Veteranenstraße übernommen und schlitterte in die Zahlungsunfähigkeit. »Unser Insolvenzverwalter Joachim Voigt-Salus hat in Gesprächen mit den Hauptgläubigern – der Deutschen Kreditbank und der Stiftung Umverteilen – erreicht, dass wir in die Planinsolvenz gehen«, erklärt Carsten Gumprecht, der Sprecher des Hauses. Der Betrieb in der Veteranenstraße geht also weiter.
Jetzt will sich das Künstlerhaus neu aufstellen: »In Kürze übernimmt ein neuer Betreiber die Kantina im Vorderhaus, und auch über den Fortbestand der Galerie werden wir entscheiden«, so Gumprecht. Das alternative Flair des Hauses soll über das Programm erhalten bleiben: »Mit Felix Goldmann im Theaterbereich und Dagmar Kaczor, die für das Kinoprogramm zuständig ist, wird die Qualität des Hauses hoch gehalten.«
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