Erst Bestechungsskandal, dann Invasion
1972 trieb es einige Spieler von Hertha BSC Berlin nach Südafrika zum Fußballklub Hellenic FC
Die wilden Schmierereien auf der Hinterseite der Tribüne sind schon aus der Ferne zu erkennen, doch Peter Raath nimmt sie nicht mehr wahr. Er scheint durch die rissige Betonwand hindurchzu- schauen, als wäre er in einer anderen Zeit versunken, in einer besseren Zeit. »Hier passiert nicht mehr viel, bald wird das Stadion abgerissen«, sagt Raath, der in Südafrika als Fußballhistoriker bezeichnet wird, weil er 2002 das erste umfassende Lexikon über die Kicker am Kap veröffentlicht hat. »Wieder ein historischer Ort weniger«, sagt er. »Traurig, traurig. Wenn das die Deutschen wüssten.«
Für Peter Raath, 57, geboren in Durban, kam das WM-Viertelfinale am Sonnabend zwischen Deutschland und Argentinien einem sportlichen Festakt gleich. Doch das Spiel in seinem Wohnort Kapstadt ist auch eine Gedächtnishilfe, auf die er gern verzichtet hätte: »Die Deutschen haben schon einmal den Fußball in Kapstadt geprägt – leider viel zu kurz.« Raath lehnt sich an einen Zaunfahl neben dem brüchigen Stadions Hartleyvale, erbaut 1905, dem einstigen Wohnzimmer des Profiklubs Hellenic FC, bekannt als »Die griechischen Götter«. Hinter ihm erhebt sich der Tafelberg, vor ihm wuchert das Unkraut. Raath sagt: »Früher haben hier Fans für Stadiontickets auf dem Bürgersteig campiert, eine verrückte Zeit. Das hatte Hellenic nur den Deutschen zu verdanken.«
Raaths Schilderungen klingen wie eine Heldengeschichte. Doch der Erfolg seiner Helden erschöpfte sich aus ihrem Scheitern. 1972 hatte Hellenic eine deutsche Gruppe von Hertha BSC verpflichtet: Torhüter Volkmar Groß und die Spieler Jürgen Weber, Arno Steffenhagen, Bernd Patzke und Wolfgang Gayer. Die Berliner waren im größten Bestechungsskandal verwickelt gewesen. Sie gehörten zu jenen Profis, die gegen Bielefeld absichtlich verloren hatten, für 15 000 Mark pro Nase. Der Deutsche Fußball-Bund sperrte sie, ließ sie aber nach Südafrika ziehen, da der Weltfußballverband das Land wegen seiner Apartheidpolitik von allen internationalen Wettbewerben suspendiert hatte.
»Die Deutsche Invasion« titelte das südafrikanische Fußballmagazin »Soccer Monthly« in seiner September-Ausgabe 1972. Die Bestechung spielte im Artikel kaum eine Rolle. Stattdessen ließ der Autor die deutschen Exilkicker von der Sonne schwärmen und über die südafrikanischen Trainingsbedingungen klagen. Außerdem hätten sie im fernen Europa schon um 22.30 Uhr ins Bett gemusst. Der Autor bilanzierte: »Seit ihrer Ankunft ist das Interesse am südafrikanischen Fußball enorm gewachsen.« Plötzlich kamen regelmäßig 20 000 Fans zu Hellenic. Nur Weiße hatten ein Stadiondach über dem Kopf, Farbige saßen am Kopfende, Schwarze hockten in einer Tribünenecke, dicht an dicht.
»Die Deutschen leiteten die besten Jahre von Hellenic ein«, sagt Peter Raath. »Für sie war Südafrika wie Milch und Honig.« Die Berliner lebten in geräumigen Wohnungen oder luxuriösen Hotels mit Meerblick. Sie durften ihr Gehalt mit Sondergenehmigung nach Hause überweisen. Wolfgang Groß hatte 1970 ein Länderspiel im deutschen Tor bestritten. In seiner Wohnung waren die verboteten Prämien aus Bielefeld gelandet. Nun sagt er: »Südafrika ist ein tolles Land. Wir hatten eine schöne Zeit.« Kritische Fragen hatte er damals nicht gestellt. Er war gekommen, um erfolgreich Fußball zu spielen. Ebenso wie viele Engländer, Schotten und Iren, die am Kap ihre Karrieren ausklingen ließen.
Mehr als 25 000 Deutsche leben in Kapstadt heute. Es gibt deutsche Schulen, deutsche Kindergärten, deutsche Geschäfte. Von Hellenic haben die meisten vermutlich nie gehört. Die Hertha-Verbannten kehrten damals bald zurück nach Europa. Mit Hellenic ging es abwärts. Der Fußballklub ist inzwischen aufgelöst worden. 2004 hatten die griechischen Besitzer ihre Vereinslizenz verkauft.
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