40 000 Polizisten in den Frust reformiert
Bundespolizeireform ist grandios gescheitert – Regierung beschönigt eigene Unfähigkeit
Anhörungen von Bundestagsausschüssen sind nicht selten langweilig, berechenbar eben. Jede Partei benennt Experten, die folgen zumeist vorgezeichneten politischen Grundlinien. Doch es gibt Ausnahmen. Nicht einer der benannten Gutachter, die gestern im Bundestag-Innenausschuss auftraten, ließ ein gutes Haar an der »Neuorganisation der Bundespolizei«, die Ex-Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) – aktuell leitet er das Finanzressort – initiiert hat.
Im Frühling hatte das Innenministerium einen Zustandsbericht verfasst. Tenor: Alles in Butter. Weiter so. Diese Schönfärberei, bei der sogar wesentliche Bereiche der Bundespolizeiarbeit schlicht vergessen wurden, empörte die Beschäftigten zusätzlich. Und so formulierte gestern der Sachverständige Lars Wendland aus Berlin-Brandenburg: Der Evaluierungsbericht der Regierung »ignoriert die tatsächlichen Probleme der Bundespolizei«. Sein Kollege Gerhard Medgenberger – er kommt aus Weil am Rhein – stellt »das Gesamtkonzept der Reform in Frage«. Es habe sich selbst »ad absurdum geführt«. Im Gegensatz zur ministeriellen Darstellung sind nahezu alle Vorgaben bzw. anvisierten Ziele der Reform nicht erreicht«.
Hoher Krankenstand, Burnout-Erfahrungen, innere Kündigungen sind bei der Bundespolizei an der Tagesordnung. Wer Frust in sich trägt, gibt Frust oft weiter. Bundespolizisten kommen immer wieder in Versuchung.
Ursprünglich warb die Regierung mit dem Argument, durch Verschlankung des Apparates 1000 Bundespolizisten mehr auf die Straße zu schicken, um den Bürgern mehr Sicherheit zu bieten. Ergebnis? Es sind weniger Polizisten im Bürgersinn unterwegs. Man stopft »Löcher mit Löchern«. Sogenannte Kettenabordnungen nerven die Kollegen. Weil beispielsweise an den Flugplätzen Frankfurt am Main, Stuttgart, München Kontrollbeamte fehlen, holt man sie sich aus ostdeutschen Grenzbezirken. Dabei hält man sich formal an die Vorgaben und gönnt den abgeordneten Beamten auch mal ein Wochenende bei der Familie – bevor die neue Abordnungsperiode einsetzt. Auch weil sich das Berufsbild des »dauer-pendelnden Bundespolizisten« entwickelt hat ist die Mitarbeiterzufriedenheit »in erhebliche Schieflage gerutscht«, merkt Roland Voss von der Direktionsgruppe Bexbach an. Zudem führen Kettenabordnungen zu Kostenexplosionen.
Übel sieht es beispielsweise auf den Berliner Bahnhöfen aus. Die Bundespolizei ist für die Sicherheit von rund einer halben Million Reisenden pro Tag auf einer Fläche von 16 000 Quadratkilometer verantwortlich. Ganz zu schweigen von Schwerpunkteinsätzen bei Demonstrationen, Fussball- oder Eishockeyspielen. Doch die tägliche Einsatzstärke der Polizei liegt nicht selten unter 50 Prozent des Solls. Seit Monaten sind Reviere geschlossen: Personalmangel!
128 einstige Bundespolizei-Inspektionen sind auf 77 zusammengestrichen worden. Dabei entstanden unüberschaubare Einsatzgebiete. Durch die Abschaffung bisheriger Leistungsstrukturen wurden aber deren Aufgaben nicht abgeschafft. Nur verlagert auf untere Ebenen. Übel stößt den Bundespolizisten Kennzahlenfetischismus auf. Man verordnet den Beamten verstärkte Personen- und Fahrzeugkontrollen, die nicht das geringste mit Fahndungsnotwendigkeiten zu tun haben. Sie dienen nur einem Zweck – Schäubles Reform, die von de Maizière fortgesetzt wird, schön zu reden. Dafür wird die »eigentliche Hauptaufgabe der Polizei, Straftaten zu verhindern, präventiv tätig zu werden«, durch »die Einführung von Controlling und Zielvereinbarungen faktisch ausgeblendet«, meint der Polizeibeamte Voss. Völlig ungeklärt sind die Probleme zunehmender Auslandseinsätze. Von der ursprünglichen »positiven Grundhaltung« der Beamten ist kaum noch etwas zu spüren.
Die aktuelle Bundespolizeireform ist die dritte in 15 Jahren. Eine vierte ist ohne Zweifel notwendig. Doch ob sie nur »ausbügelt«, was bisher »schief gelaufen« ist oder ob man aus der 40 000 Mann-Truppe wieder – à la BGS – eine Gendarmeriearmee formen wird, wie sie unter anderem in Frankreich oder Italien üblich ist, hängt maßgeblich von der parlamentarischen Kontrolle ab. Die gestrige Anhörung kann dabei nur ein Anfang sein.
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