Wohnen in der Wagenburg

Besuch bei Alternativen auf einer Brache am Friedrichshainer Ostkreuz

  • Haiko Prengel, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Max' bescheidenes Zuhause ist ein blecherner Container und kaum neun Quadratmeter groß. Wo die meisten Menschen schon nach wenigen Minuten Platzangst bekommen würden, lebt der blonde Mittdreißiger mittlerweile seit fast zehn Jahren – und zwar ganz und gar freiwillig: Als einer von rund 30 Bewohnern der »Laster- und Hängerburg« im Stadtteil Friedrichshain. Die halblegale Camping-Kommune hält seit 2001 eine grüne Brache im Kiez am Ostkreuz besetzt. Als Domizile dienen umgebaute Lastwagen, Zirkus-, Bau- und Wohnwagen. Es ist eine von rund 100 Wagenburgen in Deutschland.

Um in den Container von Max zu gelangen, muss man erst einmal eine Leiter hochklettern. Denn die sogenannte Wechselbrücke, sonst gerne im Speditionsgewerbe genutzt, steht auf hohen Stelzen. Mit seinem dazugehörigen Lkw kann der 36-Jährige jederzeit untersetzen und sein Zuhause wie ein Schneckenhaus huckepack mit auf die Straße nehmen. Diese »grenzenlose Mobilität« gefalle ihm neben dem Gemeinschaftsgefühl und der »Beschränkung auf das Wesentliche« am meisten am Leben in der Wagenburg, sagt der Diplom-Ingenieur.

Mit seiner Firma für Spezialeffekte auf Veranstaltungen ist Max viel auf Festivals in ganz Deutschland unterwegs. Koffer packen wie andere Leute muss er nicht. »In meinem Container hab ich immer alles dabei«, sagt er: Ein Bett, ein Schreibtisch und sogar ein kleines Bücherregal. Strom beziehen Max und die anderen Wagenburg-Bewohner über Solaranlagen, gekocht und geheizt wird mit Gas oder Holz. Zur Toilette geht man ins gemeinschaftliche Dixi-Klo.

Wagenburgen waren ursprünglich Schutzformationen, mit denen sich »Germanenstämme« und andere »Völker« schon in der Antike zur Wehr setzten. Der zu einem Verteidigungsring angelegte Wagentross bot ringsum Deckung für das nächtliche Lager oder den Fall einer feindlichen Attacke. Heute sehen sich die Wagenburgen anderen Angriffen ausgesetzt: Ihre meist ungefragte Besetzung von städtischen Brachflächen ruft früher oder später die Behörden auf den Plan. Die dulden die Bauwagen-Subkultur selten längerfristig. Auch im toleranten Berlin wurden schon etliche Wagenburgen geräumt. Besonders hartnäckigen Besetzern machte die Polizei Beine.

Die Laster- und Hängerburg in Friedrichshain sollte längst einem Sport- und Spielplatz gewichen sein. Die Bezirksverordnetenversammlung kann sich aber seit Jahren nicht endgültig auf eine Lösung für die Brache in der Modersohnstraße einigen. Max und seine Nachbarn haben dabei einen gewichtigen Fürsprecher: Den grünen Bürgermeister Franz Schulz, der ganz »stolz« auf die Wagenburg in seinem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist: »Weil sie Ausdruck unseres vielfältigen bezirklichen Lebens ist.« Beim Anblick der Zirkus- und Bauwagen fühle er sich sogar ein wenig an seine Studentenzeit erinnert. Damals habe er, just aus Unterfranken nach Berlin gekommen, ein Jahr in einem ausgebauten Kombi gelebt, berichtet Schulz schwärmend. Das Abenteuer sei jetzt 35 Jahre her.

Wagenburg-Bewohner Max kann sich nicht vorstellen, seine Freiheit im Container gegen ein bürgerliches Leben in der Zweizimmer-Altbauwohnung einzutauschen. Vor dem Umzug in die Wagenburg sei er selbst lange genug »Steinheimer« in einem Mietshaus gewesen, sagt er. Seine Worte klingen nach Familie Feuerstein und dem Nachbarn Barney Geröllheimer.

Wovon er wirklich träume, sei ein größerer Wagen, »am liebsten ein Vierzigtonner«, sagt Max. Vielleicht reichen die neun Quadratmeter in seinem Container nämlich in Zukunft nicht mehr aus: Der 36-Jährige will mal Kinder haben mit seiner Freundin. Noch wohne die in Friedrichshain allerdings in einem »Steinhaus«.

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