In einem Boot zum Weltuntergang

Kathrin Röggla und die allgemeinen Ängste

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 2 Min.

Aussteigen kann niemand. Auch wenn er keine Zeitungen mehr liest, Fernsehen und Radio abschafft, irgendwie wird er schon erfahren vom jüngsten Terroranschlag und der neuesten Pandemie. Rinderwahn, Vogel- und Schweinegrippe – gewiss kommt bald noch Beängstigenderes auf uns zu. Verseuchte Lebensmittel. Die Polkappen schmelzen, die armen Eisbären. Droht uns eine Sintflut? Tsunamis als Alltäglichkeit? Früher scheint es nicht so viele Erbeben wie jetzt gegeben zu haben. Das Wetter spielt verrückt; die Wirtschaft sowieso. Jüngst legte jemand einen Behälter auf eine Berliner Brücke. Die ganze Straße und die Bahnlinie darunter wurden für Stunden gesperrt. Übertrieben? Und wenn es ein Sprengsatz gewesen wäre?

Tatsächliche Gefahren und Medieninszenierungen: Gleichwohl, wir sind in der Falle. – Tanz auf der Titanic. Und sterben müssen wird sowieso.

»die alarmbereiten« – das Buch von Kathrin Röggla handelt von einem Gemütszustand, den jeder irgendwie kennt und nun beim Lesen geballt, zugespitzt durchleben muss. Eine furiose Zustandsbeschreibung. In sieben zusammenhängenden Erzählungen werden Situationen durchgespielt, in poetisch verdichtete Sprache gebracht. Das Buch wirkt auf eine akustische Weise – ohne Handlung und deutlich sichtbare Gestalten besteht es nur aus einem Zusammenprall von Stimmen. So ist es nur folgerichtig, dass es »die alarmbereiten« auch schon als Hörspiel gibt. Eigentlich ist das Buch ja ein Hörspiel; es ruft nach Inszenierung.

»So temperamentvolle, wütend reflektierende Monologe, die sich lustvoll und hemmungslos auf die gegenwärtige Sprache einlassen, hat man lange nicht gelesen, vielleicht gar seit Thomas Bernhard und der Wiener Gruppe nicht«, jubelte die FAZ. Als Kritikerin, die auch genügend Flaches kennt, muss ich mich vor der Kunstfertigkeit der Autorin verbeugen. Als Kritikerin kann mir ein Buch ja nicht anspruchsvoll genug sein. Aber wenn ich zugleich auch andere Leser im Auge habe, sage ich: 189 Seiten nichtwörtliche Rede – das ermüdet auch. Bernhard hin Bernhard her – die provokative Wirkung seiner Werke lässt sich so nicht wiederholen. Zumal die Erscheinungen, die hier beredet werden, in einem Maße bekannt sind, dass man bei der Lektüre immer nur bitter lächelnd mit dem Kopf nicken könnte. Simulation simulierter Gefahren – Kathrin Röggla gelingt auf ihre Weise ein Gesamtbild der westlichen Welt, die sich zum ausweglosen Raum verdichtet.

Kathrin Röggla: die alarmbereiten. S. Fischer Verlag. 189 S., geb., 18,95 €.

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