Streitfrage: Bringt die elektronische Gesundheitskarte mehr Sicherheit für die Patienten?

  • Karl Lauterbach
  • Lesedauer: 8 Min.

Arzt und Patient begegnen sich auf Augenhöhe

Von Prof. Dr. Karl Lauterbach

Mit dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes hat der Gesetzgeber 2004 die gesetzliche Grundlage für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (e-Card) als gemeinsame Aufgabe von Krankenkassen, Ärzten, Zahnärzten, Apotheken und Kliniken bzw. deren Verbänden geschaffen. Die beteiligten Akteure haben die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte, kurz gematik, gegründet, die die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte organisiert. Mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte sollen alle an der Gesundheitsversorgung beteiligten Akteure optimal miteinander vernetzt werden, um die Qualität, Effizienz und Sicherheit der medizinischen Versorgung zu erhöhen.

Die elektronische Gesundheitskarte wird die bisherige Krankenversichertenkarte ersetzen. Mit dieser e-Card können die Versicherten zukünftig Ihre Gesundheitsdaten buchstäblich selbst in die Hand nehmen. Wie auch bisher schon werden auf der Karte die administrativen Versichertenangaben wie Name, Alter, Geschlecht, Wohnort und Versichertenstatus enthalten sein. Zudem bringt die e-Card den weiteren Vorteil einer bürokratisch unkomplizierten Behandlung auch im europäischen Ausland.

Zusätzlich, auf freiwilliger Basis, enthält der Chip auf der Karte einen medizinischen Teil mit Gesundheitsdaten. Der behandelnde Arzt hätte so in Zukunft alle relevanten Informationen über den Versicherten umgehend zur Hand. Jeder, der dies möchte, kann die Daten erfassen lassen, die für die eigene Gesundheit wichtig sind: von der Dokumentation verordneter Arzneimittel bis zu Notfallinformationen wie Allergien oder chronische Erkrankungen. Dadurch können belastende Doppeluntersuchungen reduziert und unerwünschte Arzneimittelwirkungen vermieden werden. Die Gesundheitsdaten sind zentral verfügbar, was erheblich zu einer Steigerung der Versorgungsqualität beiträgt.

Wichtig ist: Der Versicherte ist und bleibt der Herr über seine eigenen Daten, und er verfügt über die gleichen Informationen wie der Arzt. Der Versicherte kennt die Dokumente, Befunde und Diagnosen, die seine Gesundheit betreffen. Arzt und Patient begegnen sich quasi auf Augenhöhe. Das ist eine Stärkung der Patientenrechte, ein deutliches Mehr an Demokratie und eine verbesserte Transparenz im Hinblick auf die Arbeit der Ärzte.

Die Sicherheitsanforderungen an die elektronische Gesundheitskarte gewährleisten den datenrechtlichen Schutz. Der Datenschutz und die Datensicherheit werden im Vergleich zum bisherigen Stand erheblich verbessert. Die Patientendaten werden weder auf zentralen Datenspeichern gehalten noch unbefugt an Dritte weitergegeben werden. Auch in Zukunft bleiben die vom Arzt erhobenen Patientendaten – wie auch bisher schon – beim Arzt oder im Krankenhaus. Sie unterliegen auch weiterhin der ärztlichen Schweigepflicht. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient bleibt mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte erhalten. Bei Nutzung von öffentlichen Netzen zum Datentransfer kommen verschlüsselte Kanäle zum Einsatz. Weder Dritte, noch die Krankenkasse können unbefugt die verschlüsselten Daten einsehen.

Der Versicherte entscheidet selbst, ob überhaupt, und in welchem Umfang medizinische Daten gespeichert oder gelöscht werden. Wer darüber hinaus Zugriff auf die Daten haben soll, entscheidet auch stets der Versicherte allein. Die Einsichtnahme durch weitere Personen ist grundsätzlich nur mit Autorisierung, zusammen mit dem sogenannten elektronischen Heilberufsausweis, und durch Eingabe einer persönlichen Identifikationsnummer möglich. Sensible Daten, wenn denn welche gespeichert sein sollten, werden so nur mit Einverständnis des Patienten sichtbar. Das steigert die Patientenautonomie und ist der Weg hin zum mündigen Patienten.

Zudem werden alle, zumindest aber die letzten 50 Zugriffe, protokolliert. Die Karte muss für alle Versicherten, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, zur Identifikation mit einem Foto ausgestattet sein. Das bedeutet mehr Sicherheit vor Missbrauch durch andere Personen und mehr Sicherheit vor dem Missbrauch von Krankenkassenleistungen, der die Kassen jährlich hohe Summen kostet und die Gemeinschaft der Versicherten schädigt. Durch die Möglichkeit, die Daten der Versicherten bei Arztbesuchen online aktualisieren zu können, sind die Krankenkassen unmittelbar auf dem neuesten Stand. Es entfällt die teure Anfertigung neuer Karten und aufwendige und mehrfach wiederholte Prozesse in Verwaltung und Abrechnung werden beschleunigt und vereinfacht.

Überdies wird der Schutz vor Missbrauch der Gesundheitsdaten durch spezielle Strafvorschriften gestärkt. In die Strafprozessordnung wurde ein Beschlagnahmeverbot für die Daten der Gesundheitskarte aufgenommen. Das Verlangen des Zugriffs durch unberechtigte Dritte (z. B. Arbeitgeber) ist als Ordnungswidrigkeit zu ahnden und mit einer Geldbuße zu belegen. Der unberechtigte Zugriff selbst ist strafbar.

Unter dem Strich überwiegen also eindeutig die Vorteile einer elektronischen Gesundheitskarte. Sie kann die Versorgung verbessern, Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen und eine neue Transparenz bieten. Für die Versicherten bedeutet sie neben mehr Eigenverantwortung auch mehr Mitbestimmung. Diejenigen, um die es eigentlich geht, die Patientinnen und Patienten, rücken in den Mittelpunkt. Das ist das Wichtigste.


Prof. Dr. Karl Lauterbach, 1963 in Düren geboren, ist Gesundheitsexperte der SPD-Fraktion im Bundestag. Er ist Professor für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie an der Universität Köln und setzt sich unter anderem für die sogenannte Bürgerversicherung im Gesundheitswesen ein. Karl Lauterbach ist seit 2001 Mitglied der SPD.

Immer mehr Vereinheitlichung im Gesundheitssektor

Von Dr. Elke Steven

Informationen über den Gesundheitszustand sind äußerst sensible und schutzwürdige Daten. Gerne hätten auch Arbeitgeber, Versicherungsgesellschaften oder Strafverfolgungsbehörden solche Informationen. Als Patient brauche ich deshalb einen Arzt, zu dem ich Vertrauen haben kann, der mich individuell berät, informiert und meine Daten vertraulich behandelt. Dieses besondere Verhältnis zwischen Arzt und Patient kann misslingen. Ärzte können falsch handeln und mehr an anderen Interessen denn am Wohl des Patienten orientiert sein. Aber eine gute Behandlung, die Besonderheiten und Kontexte berücksichtigt, wird wesentlich von einem verlässlichen Arzt-Patienten-Verhältnis getragen.

Mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte werden diese sensiblen Daten auf vernetzten Rechnern gespeichert und von überall zugänglich werden. Die Gewährleistung des Datenschutzes wird so äußerst fragwürdig. Bisher gilt das Arztgeheimnis, dann aber wird der Patient die Verantwortung tragen.

Eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Patienten entsteht schon durch die für sie undurchschaubare Speicherung und Nutzung der Daten. Im Volkszählungsurteil hatte das Bundesverfassungsgericht für unabdingbar gehalten, dass Bürger jederzeit wissen können müssen, »wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß«. Das komplexe Gesundheitssystem mit den divers gesammelten Daten ist jedoch schon jetzt kaum durchschaubar. Datenflüsse und Speicherorte der Daten werden mit der e-Card sowohl für Ärzte als auch Patienten völlig undurchschaubar werden.

Mit dieser Karte ist zugleich eine »Industrialisierung« der Abläufe im Gesundheitssektor beabsichtigt. Eine zunehmende Kontrolle und Steuerung der Arzt-Patienten-Beziehung soll erforderlich sein, um Kosten zu senken. Die besondere Intimität des Verhältnisses soll ersetzt werden durch formale Rationalität, Ökonomisierung und quantitativ-finanzielle Steuerung. Schon bisher ist die Behandlung im Bereich einiger Krankheiten mit Hilfe der Disease Management Programme vereinheitlicht und entindividualisiert worden. Ärzte müssen nach detaillierten Richtlinien vorgehen, die ihre Therapiefreiheit beschränken. Sie sind gezwungen, die Individualität des Patienten unberücksichtigt zu lassen, da Abweichungen von den erstellten Behandlungsprofilen, die wesentlich beeinflusst wurden von Pharma- und Krankenhausunternehmen sowie Geräteherstellern, sanktioniert werden. Zugleich greift die Prämisse der Präventionslogik auch auf das Gesundheitssystem über. Es gilt, schon die Möglichkeit von Krankheit frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Individuelles »Fehlverhalten« soll ausgemerzt, Verhaltensänderungen sollen kontrolliert werden. Mit Hilfe der e-Card werden solche Entwicklungen in den Versorgungsentscheidungen der Ärzte und den Verhaltensweisen der Patienten beschleunigt bürokratisiert werden können.

Da die weitgehenden Datenspeicherungen, wie sie im Sozialgesetzbuch V vorgesehen sind, noch gar nicht funktionieren, wurde im Juni 2010 im Bundestag eine völlig neue Anwendung beschlossen und in das Gesetz eingefügt. Nun sollen einmal im Quartal die »Stammdaten« der Patienten beim Arztbesuch mit den bei der Krankenkasse gespeicherten Daten abgeglichen werden. Gegen die Einführung dieser Funktion hatte sich eine deutliche Mehrheit auf dem Ärztetag ausgesprochen. Die Ärzte wollen nicht zu Sekretariaten der Krankenkassen werden. Und wir Patienten wollen, dass die Ärzte – und auch die Arzthelfer – Zeit für unsere gesundheitlichen Fragen und Probleme haben. Hinzu kommt, dass zu diesen »Stammdaten« auch medizinische Daten, z. B. über die Teilnahme an Disease Management Programmen, gehören, die dann zentral gespeichert werden. Empörend und zugleich bezeichnend ist auch, wie das Sozialgesetzbuch V geändert wurde. Im Handstreich wurde kurzfristig ein Änderungsantrag zu einem ganz anderen Gesetz, dem Arzneimitteländerungsgesetz, eingefügt und abgestimmt. So schnell und ohne öffentliche und parlamentarische Aufmerksamkeit können also auch die noch vorgesehenen Schutzvorrichtungen in den gegenwärtigen Regelungen zur e-Card über Bord geworfen werden.

Laut Gesetz sollen irgendwann Notfalldatensatz, Arzneimitteldokumentation, Arztbrief und Patientenakte – »freiwillig« – zentral zugänglich gespeichert werden. Wie schnell das Sozialgesetzbuch geändert und die Freiwilligkeit abgeschafft werden kann, haben wir gerade erlebt. Aber auch vorher bleiben viele Befürchtungen. Woher soll der kranke, auf ärztliche Beratung angewiesene Patient wissen, welche Daten für wen relevant sind, welche Folgen die Speicherung hat und welches Wissen aus Labordaten oder Arzneien ableitbar ist? Er wird dem Druck diverser Interessen ausgesetzt sein. Und wenn er dann die Nachteile zu tragen hat, wird es heißen, er hätte ja verweigern, löschen oder Daten unterdrücken können. Nimmt der Patient dagegen seine Rechte wahr und wählt Informationen aus, wird der Arzt mit den möglicherweise unvollständigen Informationen nichts anfangen können.

Entgegen all den werbenden Argumenten im Akzeptanzmanagement wird mit der e-Card nichts effizienter, schneller und einfacher. Im Gegenteil. Es wird schwieriger sein, Vertrauen zu Ärzten aufzubauen, die kontrollieren und nach vorgefertigten Mustern behandeln sollen und die keine Zeit haben. Und das Gerede vom zu verhindernden »Missbrauch« erschreckt, weil deutlich wird, dass selbst in diesem reichen Land Menschen leben, die wegen fehlender Krankenversicherung auch ohne ärztliche Hilfe dastehen.

Dr. Elke Steven, Jahrgang 1955, arbeitet beim Komitee für Grundrechte und Demokratie vor allem zu den Themen elektronische Gesundheitskarte und Gesundheitssystem, Demonstrationsrecht, Demonstrationsbeobachtungen und »Innere Sicherheit«. Außerdem ist die Soziologin Mitherausgeberin des jährlich erscheinenden Grundrechte-Reports.

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