Vom Politpoker überschattet
Vor 30 Jahren wurden die Olympischen Spiele in Moskau eröffnet
Moskau, 19. Juli 1980. In der sowjetischen Hauptstadt werden die Spiele der XXII. Olympiade eröffnet. Zum ersten Mal weht die Flagge mit den fünf Ringen über einem sozialistischen Land. »Weil nicht sein kann, was nicht sein darf«, ließen die Gegner der Moskauer Spiele seit ihrer Vergabe in Wien '74 nichts unversucht, sie zu verhindern. Als am 27. Dezember 1979 sowjetische Truppen als Antwort auf ein Hilfeersuchen der dortigen Regierung in Afghanistan einmarschierten, deklarierten die Anti-Olympier diese Maßnahme als Überfall und hatten den Anlass gefunden, zum Boykott der Spiele aufzurufen. Doch es gelang ihnen weder, die Wettbewerbe zu verlegen, noch sie zum geplanten Desaster werden zu lassen.
Zwar sind mit 5217 Vertretern von 81 Nationalen Olympischen Komitees so wenige Athleten wie lange nicht dabei, doch nur 42 Länder haben ihre Meldungen zurückgezogen. Besonders schmerzlich vermisst werden die Sportler aus den USA, die Japaner und die Teams Kanadas, Kenias und der BRD. Letztere hatten sich erst auf Druck ihrer Regierung nach langen kontroversen Diskussionen für die Nichtteilnahme ausgesprochen – gegen den Willen ihres NOK-Präsidenten Willi Daume. Nun erleben sie, wie immerhin 16 Verbündete der USA, die sich erfolgreich den Boykottbestrebungen ihrer Regierungen widersetzt hatten und ihre Chancen im olympischen Kampf nutzen wollen, von den Hunderttausend im Moskauer Lenin-Stadion besonders freundlich empfangen werden.
Nicht nur, was die Beteiligung betrifft, bleibt der von seinen Machern erwartete Erfolg des Boykotts aus. Stolze 36 Welt-, 39 Europa- und 73 olympische Rekorde – mehr als 1976 im kanadischen Montreal – werden in den Tagen bis zum 3. August in Moskau aufgestellt. Nur in ganz wenigen Sportarten – so im Reiten und Hockey – fallen die Wettbewerbe in die Zweitklassigkeit ab. Die Herrenkonkurrenzen der Leichtathleten, der Turner, der Schwimmer und die Segelregatten sind in ihrem Niveau zwar beeinträchtigt, aber der sportliche Wert gerät kaum in Gefahr.
Tatsachen, die den Zweifel an der Qualität der Spiele von Moskau genau so ad absurdum führen wie die großen Sieger. Da ist der sowjetische Schwimmer Wladimir Salnikow, der als erster Mensch die 15-Minuten-Schallmauer über die 1500 m-Freistil durchbricht. Da ist der phänomenale Langstreckler Miruts Yifter aus Äthiopien, der mit seinen furiosen Spurts die Kontrahenten über 5000 und 10 000 m aus den Schuhen läuft. Da ist der DDR-Marathonmann Waldemar Cierpinski, der zum zweiten Mal auf der klassischsten aller Laufstrecken höchste olympische Lorbeeren erntet. Und da sind schließlich die Handballer aus der DDR, die in einem mitreißenden Duell gegen das Team der UdSSR den Schlusspunkt hinter den mit 47 Gold-, 37 Silber-, 42 Bronzemedaillen und vielen guten Plätzen erfolgreichsten Auftritt der DDR-Nationalmannschaft bei Olympia setzen.
Als abgerechnet wird, haben die Athleten aus der UdSSR und der DDR von 203 Wettbewerben 127 gewonnen. Italien, Frankreich und Großbritannien waren so erfolgreich wie lange nicht. Die Boykottstaaten, deren Sportler zu Verlierern eines unsinnigen Politpokers wurden, tauchen nach den glanzvollen Tagen der Moskauer Olympiade dagegen nur noch in den Fußnoten auf.
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