Leseprobe
Sloterdijk-Debatte
Was ist ein Leistungsträger? Gibt man das Wort bei Wikipedia ein, erhält man als erstes die knappe Auskunft, dass es die »Besserverdienenden« bezeichne ... Klickt man auf den Begriff der »Besserverdienende«, erhält man die Information, dass es eine allgemein verbindliche Definition nicht gebe, aber wer dafür das Wort »Leistungsträger« benutze, tue dies, um in der politischen Diskussion eine Senkung der Spitzensteuersätze bzw. der Reduzierung der Steuerprogression zu begründen. Der Begriff führt also nicht nur unmittelbar ins Zentrum der Verteilungskämpfe des gesellschaftlichen Reichtums, er ergreift in ihnen auch sofort energisch Partei ...
Der Leistungsträger gehört zum »normalen« Repertoire neoliberaler Ideologie. Über den attraktiven Begriff der »Leistung« soll er ermöglichen, eine Gemeinschaft zwischen ökonomischen Eliten, bedrohten Mittelschichten, »qualifizierten« Berufen bis hinein in die Facharbeiterschaft herzustellen – gegen Ansprüche »sozialer Gerechtigkeit« und gesellschaftlicher Umverteilung, die v. a. von den Interessenvertretern der »abhängig« Beschäftigten, der Prekarisierten und Arbeitslosen erhoben werden. Aber was ist schon »normal« in einer ökonomischen Krise, wo die Frage, wer für die Wertverluste und leeren Staatskassen zahlen soll, mit neuer Brisanz aufgeworden wird?
In diesen Kontext fällt die »Steuerdebatte«, die von Peter Sloterdijks Beitrag Die Revolution der gebenden Hand in der FAZ vom 13. Juni 2009 angestoßen wurde. Sloterdijk hat die üblichen Steuersenkungsparolen des Neoliberalismus sozusagen utopisch überboten, als er den »produktiven« Schichten der Leistungsträger eine Abschaffung der Steuern und ihre Ersetzung durch freiwillige Gaben vor Augen führte. Er zeigt sich erstaunt, dass sie nicht zum »plausibelsten« Mittel eines »antifiskalischen Bürgerkriegs« griffen. Mit dieser gezielten Provokation kam die im Mai 2009 eröffnete FAZ-Artikelserie zur Zukunft des Kapitalismus so richtig in Fahrt. Mit der drei Monate später erfolgenden Antwort von Axel Honneth in der Zeit kam es zur »Sloterdijk-Debatte«, an der sich alle größeren Zeitungen Deutschlands, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, beteiligten.
Aus dem Vorwort des von Jan Rehmann und Thomas Wagner herausgegebenen Bandes »Angriff der Leistungsträger? Das Buch zur Sloterdijk-Debatte« (Argument, 252 S., br., 19,90 ).
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