UCK-Prozess wird in Den Haag neu verhandelt
Freispruch des früheren Kosovo-Premiers Haradinaj wurde vom Tribunal aufgehoben
Den Haag/Pristina (dpa/ND). Der vor zwei Jahren freigesprochene frühere Kosovo-Regierungschef Ramush Haradinaj muss sich doch noch wegen Mordes und Folter vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal verantworten. Die Berufungskammer des Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag stufte den aus Mangel an Beweisen erfolgten Freispruch am Mittwoch als Fehlurteil ein und ordnete an, den Prozess gegen Haradinaj teilweise neu aufzurollen. Gerichtspräsident Patrick Robinson aus Jamaika befahl nach Verlesung des Urteils der UN-Polizei, Haradinaj (42) festzunehmen.
Ein geheim gehaltener Haftbefehl war bereits am Montag ausgestellt worden, wie das Tribunal nun bestätigte. »Für uns ist das eine große Überraschung«, sagte ein führender Vertreter von Haradinajs Partei Allianz für die Zukunft Kosovos (AAK) in Pristina. »Wir sind nach wie vor von seiner Unschuld überzeugt«, betonte AAK-Präsidiumsmitglied Besnik Tahiri. Auch Haradinajs Anwalt Michael O'Reilly äußerte sich erstaunt über das Urteil der Berufungskammer und verwies auf den klaren Freispruch vor zwei Jahren.
Beim ersten Prozess gegen Haradinaj und zwei Mitangeklagte sollen Zeugen eingeschüchtert worden sein. »Die damalige Strafkammer hat das Ausmaß der Bedrohung von Zeugen und die Folgen für das Verfahren unterschätzt«, kritisierte Robinson. Mit der Anordnung eines neuen Prozesses folgte das Jugoslawien-Tribunal einem bereits im Mai 2008 von der Staatsanwaltschaft eingereichten Revisionsantrag gegen Haradinajs Freispruch aus Mangel an Beweisen. Auch die Verfahren gegen seine damaligen Mitangeklagten Idriz Balaj (38) und Lahi Brahimaj (40), die ähnlich wie Haradinaj in den 90er Jahren Kommandeure der UCK waren, müssen teilweise erneut geführt werden. Die Anklage wirft Haradinaj vor, als UCK-Kommandeur mitverantwortlich für Morde und die grausame Behandlung von Gefangenen gewesen zu sein. Haradinaj war einige Monate lang Ministerpräsident des damals noch nicht unabhängigen Kosovos, bevor er sich im März 2005 nach Veröffentlichung der Anklage dem UN-Tribunal stellte. Am 3. April 2005 wurden er und Balaj in erster Instanz freigesprochen. Brahimaj wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Chefankläger Serge Brammertz hatte den Revisionsantrag damit begründet, dass die zuständige Strafkammer nicht ausreichend Raum für die Zeugen der Anklage gelassen habe. In keinem anderen Verfahren vor dem Jugoslawien-Tribunal hatten die Ankläger derartige Schwierigkeiten, Belastungszeugen vor das Gericht zu bringen, wie im Haradinaj-Prozess. Zum Teil erschienen Zeugen gar nicht, andere verweigerten die Aussage – vermutlich aus Angst vor Repressalien. Inzwischen wurden zwei ehemalige Vertraute Haradinajs angeklagt, weil sie versucht haben sollen, Zeugen einzuschüchtern. Brammertz bemängelte, die Strafkammer habe der Staatsanwaltschaft nicht die Zeit gelassen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um noch fehlende Zeugenaussagen doch noch zu beschaffen und damit Haradinajs Schuld zu beweisen.
Die Entscheidung erfolgte einen Tag bevor der Internationale Gerichtshof (IGH) sein mit Spannung erwartetes Gutachten über die Rechtmäßigkeit der Abspaltung Kosovos als unabhängiger Staat von Serbien bekannt gibt. Die Serbisch-Orthodoxe Kirche will mit Kirchenglocken und Fürbitten eine gute Entscheidung des IGH in Den Haag herbeiführen. Patriarch Irinej wies alle Kirchen an, an diesem Donnerstag fünf Minuten die Kirchenglocken läuten zu lassen.
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