Wegzeichen in Stein, Zeichnung, Wort
Der Bildhauer Werner Stötzer ist gestorben
Als die Krankheit auftrat, war sie schon nicht mehr therapierbar. Werner Stötzer, der fast bis zuletzt Arbeitende, immer Lebenszugewandte und Gesellige, ist am Donnerstag in Altlangsow, im Kreise seiner Familie, gestorben. Er ist verstummt, aber ein immenses Lebenswerk in Stein, Bronze, auf Papier und auch in aufgeschriebenen klugen Gedanken spricht weiter zu uns. Töricht wäre, nicht darauf zu hören. Er hat Wegzeichen durch die von ihm erlebte Zeit gesetzt. Töricht wäre, sie zu übersehen.
Werner Stötzer war und bleibt eines der markantesten Beispiele dafür, wie sich in der DDR ein persönliches, bedeutsames Kunstkonzept und eine starke schöpferische Kraft auch ohne Gehorsam gegenüber Machthabenden und Einbindung in außerkünstlerische politische Vorhaben entfalten und Wertschätzung erlangen konnte. Er war nie auf Provokation oder Effekthascherei und auch nicht auf Karriere aus. Er folgte nur unbeirrbar und ungesteuert, immer wieder Neues findend, seinen Vorstellungen von Bildhauerei und ihrem möglichen Sinn für seine Mitmenschen. Die Freundlichkeit ihnen gegenüber und die Achtung vor wertvollen Traditionen seiner Kunstgattung ergaben zusammen eine Grundlage für die Fülle seiner humanen Ideen und den hohen ästhetischen Rang seiner Werke, die immer weitere Kreise unterschiedlicher Betrachter überzeugen konnten.
Jede Phase in der Biografie des 1931 in Thüringen Geborenen wäre aufzuzählen, weil sie alle seine Persönlichkeit mitprägten. Ebenso die menschliche und natürliche Umgebung: Sonneberg, dann Weimar, Dresden als Studienorte, dann Berlin – als Meisterschüler von Gustav Seitz an der Akademie der Künste, mit Studienreise nach China, und ab 1958 freischaffend, später zeitweise auf Rügen. Seit 1980 lebte er zusammen mit der Bildhauerin Sylvia Hagen in Altlangsow im Oderbruch, sanierte das alte Pfarrhaus, fand Zugang zu den Ansässigen wie zu Brandenburger Kollegen. 1978 wurde er Mitglied der Akademie der Künste der DDR, die ihm 1962 den Lammert-Preis und 1975 den Kollwitz-Preis verliehen hatte, 1987 dort Professor, der Meisterschüler betreute, 1990 bis 1992 ihr Vizepräsident, der die Überführung in die neue Berliner Akademie begleitete. 1977 und 1986 Nationalpreis. In Dresden erhielt er 1994 den Ernst-Rietschel-Preis.
In dem von Wolfgang Kohlhaase geschriebenen Konrad-Wolf-Film »Der nackte Mann auf dem Sportplatz«, einer unübertroffenen Schilderung der Kunstverhältnisse in der DDR, waren 1974 seine Situation und Skulpturen das anrührende Beispiel, während er, der in keiner Partei war, selbst als SED-Funktionär im Film mitspielte.
Stötzers Kunst galt immer den Menschen, sowohl als Gegenständen seiner Werke, als auch als Adressaten ihrer dringlichen Mitteilungen. Vor allem zu Anfang porträtierte er auch sehr treffend und stellte Figuren bekleidet dar, so 1961 den aufmerksamen »Lesenden Arbeiter« im Hof der Berliner Staatsbibliothek. Er steht dem Relief gegenüber, auf das – in einer damals neuen Art – lebhaft erzählende Figuren wie Randillustrationen zu Brechts Text »Fragen eines lesenden Arbeiters« gesetzt sind. Bald gab es nur nackte Leiber und diese vorzugsweise als Torsi, unvollständig. Kunstwissenschaftler erkannten, dass diese Torsi nicht als Bruchstücke eines vordem heilen Ganzen, sondern im Gegenteil als Elemente von etwas zu verstehen seien, das noch im Werden ist, erst zukünftig seine ganze, vollkommene Gestalt gewinnen könnte. Dieses Wachstum, diese innere Bewegung verstand Stötzer der unbewegten Skulptur einzuschreiben. Aufrechtstehen dominiert, aber Geducktwerden, Leiden, Stürzen und Kauern, die zur historischen Wahrheit gehören, fehlen nicht.
Seit er dreißig war, wandte er sich immer mehr der Arbeit am Stein zu. Der im Thüringer Wald entstandene, schräg in die Höhe ragende weibliche »Steinheider Torso« von 1964 hat als erstes Werk alle wichtigen Merkmale der vielen, jahrzehntelang folgenden Varianten des Prinzips, allein mit dem nackten Leib unendlich Vielfältiges zu sagen. Immer gibt der vorliegende Block die Grenzen vor, und kein Schlag auf den Meißel kann nachträglich korrigiert, zurückgenommen werden. Zuletzt steht Hartes und Scharfkantiges neben feinster Modellierung, abstrakte Stereometrie neben der Suggestion von Organisch-Lebendigem.
Der geschichtskundige Stötzer schuf nicht nur die figurale Parabel von den frühen Phasen der Menschheitsgeschichte für das Berliner Marx-Engels-Forum und zwanzig Jahre später eine Pietà für den Domplatz von Würzburg. Er lenkte aus eigenem Antrieb das mahnende Erinnern auf Schicksale, die von der eifrigen Denkmalkunst vernachlässigt wurden: In den sechziger Jahren auf die in Babi Jar ermordeten Juden, seit den achtziger Jahren auf die einst aus Berlin-Marzahn abtransportierten Roma. Er machte Geschichte auch damit sinnfällig, dass er ausgediente Treppenstufen oder Reliefs, zum Beispiel Grabsteine, als Rohmaterial für neue Skulpturen verwendete und dabei Partien ihrer früheren Form sichtbar bleiben ließ.
Der Figurenbildner Stötzer, der auch zeichnend immer den Körperhaltungen und Umrisslinien nachspürte, war zugleich höchst empfänglich für Landschaften, die ja auch Lebensräume der Menschen sind. Er umschrieb Landschaft dann wieder mit Hilfe der Menschenfigur – Werra und Saale, Wegzeichen, Seezeichen, Märkisches Tor.
Mit wenigen Motiven, Torsi, auch an der Grenze zur ungegenständlichen reinen Form, mit der Struktur des Materials und der Spur der Bearbeitung, dabei immer vor der glättenden Vollendung innehaltend, setzte Stötzer unser Nachdenken in Bewegung, ein Nachdenken über die ganze Welt und Geschichte. In vielen Museen Deutschlands können seine Werke das weiterhin tun. Wir können die anschaulichen Beobachtungen des Lebens und klugen Gedanken über Kunst, die er aufschrieb, lesen. Aber er selbst fehlt nun. Mit seiner Familie trauern wir Bewunderer seiner Kunst.
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