Ein Fall für Zwei
Contador ist im Zeitfahren schneller als Schleck und holt seinen dritten Tour-Sieg
Zwei Männer, zwei Haltungen, zwei Szenen. Andy Schleck kauerte hinter einen Lastwagen der Werbekarawane. Soeben hatte er sein Zeitfahren von Bordeaux nach Pauillac beendet. Er setzte Alberto Contador noch einmal gewaltig zu. Bis auf zwei Sekunden war er zwischenzeitlich am Spanier dran. Als er den Zielstrich passierte, wusste er aber, dass sein Rivale wieder schneller unterwegs war. Schleck setzte sich auf den Boden. Ruhig trank er etwas Wasser. Er wirkte erschöpft, aber auch erlöst. Er war ein Mann, der seine Arbeit geleistet hat. Um ihn bildete sich eine Traube von Journalisten und Fotografen. Doch es war nicht das übliche Gedränge und Geschubse. Es machte den Eindruck, als hätte die einfache Ruhe, mit der dieser junge Mann seiner Niederlage entgegenblickte, jedem einen solchen Respekt eingeflößt, dass er Abstand hielt.
Als Alberto Contador schließlich die Ziellinie in der Hafenstadt Pauillac überfuhr, ging er in einem Malström der Leiber unter. Der Spanier lachte. Es lag Stolz in diesem Lachen, aber auch große Erleichterung. Er hatte sich unendlich geplagt, die Erwartungen zu erfüllen und bei diesem Zeitfahren deutlich vor Schleck zu bleiben. Gesundheitliche Probleme hatten dem Astana-Kapitän zugesetzt. »Ich hatte Magenschmerzen. Die ganze Nacht habe ich nicht geschlafen«, sagte er hinterher. Er war jetzt umringt von Kameramännern und Fotografen, die ihren Auftrag erledigen wollten. Das Publikum war ungewöhnlich ruhig. Es wurde erst von Bewegung erfasst, als Schleck aus seinem Versteck hervortrat. »Andy, Andy«-Rufe schallten über die Straße. Der geschlagene Luxemburger ist der Held dieser Tour. Er ist es umso mehr, weil er um genau die 39 Sekunden am Toursieg vorbeigeschrammt war, die ihm Contador abgenommen hatte, als er in den Bergen einen technischen Defekt bei dem Saxo-Bank-Profi ausnutzte und davonfuhr. Ohne diesen Vorteil wären Schleck und Contador jetzt zeitgleich. Ohne diesen Vorteil wäre die letzte Rennwoche aber auch anders verlaufen. Contador hätte attackieren müssen – und vielleicht sogar deutlicher gewonnen.
So hatte diese 97. Tour de France ein kurioses und sogar spannendes Finale. Die Spannung war allerdings nicht der Stärke Schlecks, sondern der Schwäche Contadors geschuldet. Der Spanier legte bei dieser Tour eines seiner schlechtesten Zeitfahren seit Jahren hin. Über fünf Minuten verlor er auf den Sieger Fabian Cancellara. Contador hatte bei dieser Tour mehr zu kämpfen als im Vorjahr. »Ich war etwas schlechter als 2009. Es hat in Europa viel geregnet in diesem Frühjahr. Deshalb hatte ich mehr unter meinen Allergien zu leiden. Kurz vor der Tour musste ich noch Antibiotika nehmen«, sagte er. Die Lehre dieser Tour lautet: Schleck ist eine Klasse besser als alle anderen – bis auf Contador.
Im Schatten von Schleck und Contador lieferten sich der Schweizer Fabian Cancellara und der Eschborner Tony Martin ein heißes Duell um den Tagessieg. Martin unterlag dem Mannschaftskollegen von Schleck nur knapp. »Fabian ist der absolute Champion im Zeitfahren. Aber Jahr für Jahr komme ich ihm näher«, konstatierte der Columbia-Mann.
Die letzte Etappe von Longjumeau nach Paris gewann der Brite Mark Cavendish. Alessandro Petacchi aus Italien sicherte sich das Sprintertrikot. Das Bergtrikot blieb in Frankreich. Es besteht Anlass zur Hoffnung, dass der jetzige Träger Anthony Charteau (BBox) nicht in den Strudel der Dopingenthüllungen gerät wie seine Vorgänger, der Italiener Franco Pellizotti (2009) und der Österreicher Bernhard Kohl (2008).
Lance Armstrong durfte übrigens auch auf das Podium. Team Radioshack gewann die Mannschaftswertung. Letzter in diesem Wettbewerb wurde Team Milram. Selbst die mit neun Tourdebütanten angetretene Mannschaft von Footon war besser. Die himmelblaue Ära könnte kaum peinlicher zu Ende gehen.
Ergebnisse 19. Etappe: Einzelzeitfahren über 52 km von Bordeaux nach Pauillac: 1. Cancellara (Schweiz) 1:00:56 Stunden, 2. Martin (Cottbus) 0:17 Minuten zurück, 3. Grabsch (Wittenberg) 1:48, ... 35. Contador (Spanien) 5:42, ... 44. Schleck (Luxemburg) 6: 14.
Ergebnisse 20. Etappe über 102,5 km von Longjumeau nach Paris: 1. Cavendish (Großbritannien) 2:42:21 Stunden, 2. Petacchi (Italien), 3. Dean (Neuseeland), 4.Roelandts (Belgien), 5. Freire (Spanien), 6. Ciolek (Köln) alle gl. Zeit.
Gesamtwertung (Gelbes Trikot): 1. Contador 91:58:48 Stunden, 2. Schleck 0:39 Minuten zurück, 3. Mentschow (Russland) 2:01, 4. Samuel Sanchez (Spanien) 3:40, 5. van den Broeck (Belgien) 6:54, 6. Gesink (Niederlande) 9:31, 6. Hesjedal (Kanada) 10:15, 8. Rodriguez (Spanien/Katjuscha) 11:37, 9. Kreuziger (Tschechien) 11:54, 10. Horner (USA) 12:02, ... 14. Klöden 16:36, ... 23. Armstrong 39:20, ... 56. Niermann 1:46:32 Stunden zurück, ... 74. Rohregger 2:12:57, ... 80. Lang 2:29:38, ... 84. Gerdemann 2:36: 15, ... 90. Fröhlinger 2:49:23, 91. Knees 2:53:38, ... 103. Roberts 3:04:07, ... 119. Wegmann 3:17:53, ... 126. Voigt 3:23:31, ... 133. Ciolek 3:27:36, ... 135. Hondo 3:29:12, ... 137. Martin 3:31: 10, ... 161. Burghardt 4:00:47, ... 168. Klier 4:17:16, ... 169. Grabsch 4:23:01.
Punktewertung (Grünes Trikot): 1. Petacchi 243 Punkte, 2. Cavendish 232, 3. Hushovd 222, , ... 8. Ciolek 126.
Bergwertung (Gepunktetes Trikot): 1. Charteau (Frankreich) 143 Punkte, 2. Moreau (Frankreich) 128, 3. Schleck 116.
Nachwuchswertung (Weißes Trikot): 1. Schleck 91:59:27 Stunden, 2. Gesink 8:52 Minuten zurück, 3. Kreuziger (Tschechien) 11:15.
Teamwertung: 1. RadioShack 276:02:03 Stunden, 2. Caisse d'Epargne 9:15 Minuten zurück, 3. Rabobank 27:49, ... 22. Milram 6:05:41 Stunden zurück.
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