Neue Ungereimtheiten nach Loveparade
Zahl der Toten steigt auf 20 / Bauaufsicht erteilte Genehmigung einen Tag nach der Veranstaltung
Eine junge Frau erlag am Montagabend ihren schweren Verletzungen, die sie sich am Samstag bei der Massenpanik auf der Duisburger Loveparade zugezogen hatte. Damit steigt die Zahl der Todesopfer auf 20. Während die Stadt Duisburg, die neue NRW-Landesregierung und Kirchen eine zentrale Trauerveranstaltung planen, geht die Suche nach den Verantwortlichen weiter.
Gestern wurde bekannt, dass die Verantwortlichen bei der Stadt bei Beginn der Loveparade noch nicht über die Genehmigung der Bauaufsicht verfügten. Diese sei erst am Sonntag eingegangen, so der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Horst Engel. Die »Kölnische Rundschau« wiederum berichtete, dass die Erlaubnis des Ordnungsamtes erst am Samstagmorgen erteilt worden sei. Noch am Tag zuvor soll dem Bericht zufolge in verschiedenen Sitzungen über das Sicherheitskonzept gestritten worden sein. Feuerwehr und Polizei sollen nochmals deutlich gemacht haben, dass die Veranstaltung so nicht stattfinden könne. Es sei den Verantwortlichen aber keine andere Wahl mehr geblieben, als ihr Einverständnis zu geben. Tausende seien bereits auf der Anreise gewesen, sagte ein Mitarbeiter aus dem erweiterten Organisatorenbereich.
Doch die Debatte ist auch geprägt von gegenseitigen Schuldzuweisungen. Der Veranstalter der Loveparade Rainer Schaller sagte, dass die Einsatzleitung der Polizei Sicherheitsschleusen öffnen ließ und so immer mehr Menschen in den Tunnel geströmt sind. Duisburgs Oberbürgermeister Sauerland (CDU) sah noch am Unglückstag die Verantwortung bei den Opfern, die eine gesperrte Treppe benutzt hätten. Weitere Äußerungen wollte er wegen der laufenden Ermittlungsverfahren nicht tätigen.
Lange zuvor allerdings gab es viele warnende Stimmen. So sprach sich schon vor einem Jahr der inzwischen pensionierte Polizeipräsident von Duisburg, Rolf Cebin, gegen die Loveparade aus. Der Duisburger CDU-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Thomas Mahlberg forderte daraufhin vom damaligen NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) die Absetzung des Nestbeschmutzers. Die planmäßige Pensionierung allerdings kam etwaigen Bestrebungen des Innenministers zuvor. Auch die LINKE im Rat der Stadt äußerte früh Bedenken gegen das Ereignis. Nicht nur die finanziellen Belastungen der hoch verschuldeten Kommune sprachen, so Fraktionschef Hermann Dierkes, gegen Duisburg als Veranstaltungsort. Den sparsamen mündlichen Berichten zum Sicherheitskonzept des Rechtsdezernenten Wolfgang Rabe (CDU) folgte im Juni nur ein Verkehrskonzept. Insgesamt fühlten sich, so Dierkes, die Ratsvertreter nicht hinreichend informiert.
Es zeigt sich, dass die Verwaltung Duisburgs mit den Vorbereitungen hoffnungslos überlastet war. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) erklärte deshalb am Montag im ARD-Brennpunkt, dass sie bei künftigen Großveranstaltungen die Kontrolle den Kommunen entziehen und dem Landesinnenministerium übertragen werde. Für die 20 Todesopfer und über 500 Verletzten kommt diese Einsicht allerdings zu spät. Auch hat sich Kraft im Vorfeld als Spitzenkandidatin bei den Landtagswahlen im Frühjahr immer für die Loveparade eingesetzt.
Besonderen Druck auf die Stadt Duisburg übte die damalige schwarz-gelbe NRW-Landesregierung aus. Im Kulturhauptstadtjahr RUHR.2010 sollte das Großereignis nicht scheitern. So wurde die Finanzaufsicht von der Staatskanzlei des damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers angewiesen, die städtischen Mittel zur Finanzierung der Loveparade trotz Haushaltssperre nicht zu blockieren. Es ist zu vermuten, dass an Sicherheitsvorkehrungen gespart wurde. Letztlich aber, so das Resümee vieler Beobachter, war der Veranstaltungsort und der Weg dorthin für die erwarteten eine Million Besucher völlig unzureichend. Von Seiten der Stadt wurde entgegen aller anderen Prognosen in den Tagen vor der Loveparade mit höchstens 500 000 Besuchern gerechnet. Wunsch und Wirklichkeit klafften am Samstag weit auseinander.
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