Beim ÖBS ist Geld besser angelegt
Die Bürgerarbeit kollidiert in Berlin mit dem Öffentlichen Beschäftigungssektor
Die Arbeitslosenzahlen sinken – trotz des leichten Anstiegs im Vormonat – in Berlin langsam aber stetig. Das lässt die Arbeitssenatorin Carola Bluhm (LINKE) aufatmen. Aktuell liegt die Rate bei 13,6 Prozent. Glaubt man Elke Breitenbach, der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, dann ist der Öffentliche Beschäftigungssektor (ÖBS) in Berlin ein Erfolgsrezept – zumindest wer keine Perspektive mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt hat, bekomme so wieder in eine würdige Beschäftigung, meint sie.
Nun will auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sich mit einem bundesweiten Programm um die Langzeitarbeitslosen kümmern. Mitte Juli hat die Bürgerarbeit begonnen, mit der die Bundesregierung 34 000 gemeinnützige Jobs im sozialen Bereich schaffen will. In Berlin überschneidet sich dieses Projekt allerdings mit dem ÖBS: Denn auch die Bürgerarbeit soll nur eine ergänzende Beschäftigung sein, reguläre Stellen dürfen damit nicht ersetzt werden. Rund 2300 Arbeitslose werden künftig in Berlin in die Maßnahme eingebunden.
In einer »Aktivierungsphase« sollen die Hartz-IV-Empfänger über sechs Monate intensiv betreut werden, um sie möglichst in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Gelingt das nicht, so kommen sie anschließend in die »Beschäftigungsphase« und arbeiten gemeinnützig – sie betreuen Senioren, dolmetschen für Migranten bei Ämtergängen oder arbeiten im Naturschutz – entweder 30 Stunden in der Woche für 900 Euro oder 20 Stunden für 600 Euro, jeweils abzüglich der Krankenkassenbeiträge. Hinzu kommen regelmäßige Treffen mit einem Coach, um die Bewerbungen nicht zu vernachlässigen. Dieses Training wird nicht vergütet.
Während die Bundesagentur für Arbeit mit erfolgreichen Pilotphasen in Sachsen-Anhalt für ihr Projekt wirbt, überwiegt beim Berliner Senat Skepsis: Carola Bluhms Sprecherin Karin Rietz kommt die Bürgerarbeit wie eine Billigkopie des Öffentlichen Beschäftigungssektors vor. Burgunde Grosse, Arbeitsmarktexpertin der SPD, findet, dass Berlin mit dem ÖBS ein besseres Modell etabliert habe. Demnach arbeiten die Beschäftigten Vollzeit und bekommen mindestens 1300 Euro, so dass sie keine staatlichen Leistungen mehr benötigen. Rund 7000 Anstellungen gibt es derzeit im ÖBS. Finanziert wird das Programm durch Mittel des Bundes, die vom Land aufgestockt werden. »Unterm Strich ist das Geld besser angelegt. Bei der Bürgerarbeit kommen die Beschäftigten nicht ohne staatliche Unterstützung aus«, meint Breitenbach.
Auch ver.di reagiert gegenüber der Bürgerarbeit zurückhaltend. Gewerkschaftssekretär Claus Lock erwartet während der Aktivierungsphase keine nennenswerte Vermittlung in eine reguläre Beschäftigung. »Das haben auch andere Programme nicht erreicht.« Ein neues Konzept kann er nicht erkennen. Das Prekariat bleibe weiterhin vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Zudem bemängelt er die Sanktionsandrohungen der Jobcenter, sofern ein Arbeitsloser das Angebot zur Bürgerarbeit ausschlägt. Eine freie Wahl des Arbeitsplatzes ist ihm wichtig.
Die Sozialdemokratin Grosse befürchtet zudem, dass die Bürgerarbeit mit dem Öffentlichen Beschäftigungssektor konkurriere und es folglich häufiger Finanzierungsprobleme für ÖBS-Kräfte geben werde. Aktuell klagt der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg darüber, dass für den Begleitservice im Nahverkehr Ende Juli 51 Arbeitsverträge ausgelaufen sind und die Jobcenter noch keine Verlängerung bewilligt haben. Solche Engpässe drohten künftig häufiger.
Elke Breitenbach teilt die Sorge nicht. Es gebe auch in Zukunft verschiedene Förderungsmöglichkeiten für den ÖBS, und bislang habe es immer mal wieder kurzfristig Schwierigkeiten in der Finanzierung gegeben. Allerdings sind die Rahmenbedingungen nicht besser geworden: Die Bundesregierung will in ihrem Sparpaket im kommenden Jahr 500 Millionen Euro weniger für Eingliederungshilfen ausgeben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.